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Wir erklären Ihnen, warum Sie Ihre Mitarbeiter ab jetzt immer frühzeitig auf noch ausstehenden Resturlaub hinweisen sollten.
Urlaub verfällt grundsätzlich, wenn er nicht rechtzeitig genommen wird. Allerdings muss der Arbeitgeber seine Mitarbeiter auf diese Rechtsfolge rechtzeitig hinweisen. Sonst verfällt der Anspruch eben nicht. Das ist die Botschaft des Urteils des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 19. Februar 2019 (Az.: 9 AZR 541/15), dessen Entscheidungsgründe jetzt vorliegen.
Der Entscheidung liegt die Klage eines Wissenschaftlers gegen die Max-Planck-Gesellschaft München zugrunde. Der Kläger war seit 2001 bei der Gesellschaft angestellt und wollte zum Ende seiner Beschäftigung 51 Urlaubstage ausbezahlt bekommen. Wegen eng getakteter Projektphasen habe er ihn nicht nehmen können und deshalb auch gar nicht erst beantragt. Als der Fall schließlich vor dem BAG landete, rief dieses den Europäischen Gerichtshof (EuGH) aufgrund folgenden Problems an:
Nach § 7 II 1 BUrlG waren die Urlaubsansprüche des Klägers mit Ablauf des Jahres 2013 verfallen, da keine Übertragungsgründe gemäß § 7 III 2 BUrlG vorlagen. Das BAG stellte dem EuGH die Frage, ob Art. 7 I Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 II EU-Grundrechte-Charta dieser nationalen Regelung eventuell entgegenstehen.
Das EuGH-Urteil vom 6. November 2018 (Az.: C-684/16) war natürlich nicht ganz so simpel, sondern weitaus differenzierter. Die Kernaussage lautete jedoch “ja”. Arbeitgeber können nicht durch einfaches “Nichtstun” bewirken, dass am Jahresende noch ausstehende Urlaubsansprüche ihrer Mitarbeiter verfallen. Der Arbeitnehmer muss zumindest in die Lage versetzt worden sein, seine Ansprüche noch vor Jahresende tatsächlich wahrzunehmen.
Nachdem der EuGH sein Urteil gefällt hatte, ging der Fall zurück zum BAG. Es schloss sich – erwartungsgemäß – dem EuGH an und entschied, dass Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer über noch offene Urlaubstage und den anstehenden Verfall informieren müssten. Es begründete seine Entscheidung damit, dass das BUrlG Gesundheitsschutz durch tatsächliche Inanspruchnahme des bezahlten Urlaubs intendiere. Dieser Schutzzweck werde nur gefördert, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über noch bestehenden Urlaub informiere. Dies beinhalte auch eine Aufforderung, den Urlaub tatsächlich zu nehmen und einen Hinweis auf bestehende Fristen für den Verfall von Urlaubsansprüchen.
Ob diese Voraussetzungen in dem zu entscheidenden Fall gegeben waren, war allerdings noch unklar. Das BAG verwies den Fall zurück zum Landesarbeitsgericht München (LAG). Es war nämlich zwischen den Parteien streitig, ob es eine E-Mail der Gesellschaft mit einem Hinweis auf die bestehenden Urlaubsansprüche gegeben hat. Das BAG erklärte als Konkretisierung des EuGH-Urteils das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines solchen Hinweises als für die Beurteilung des Falles entscheidend. Ob eine E-Mail – wenn es eine gegeben hat – ausreichen würde, um der Informationspflicht gerecht zu werden, ist damit noch nicht gesagt. Das wird vermutlich auf den Inhalt der E-Mail ankommen. Der EuGH hatte noch erwähnt, dass die Aufforderung, den Urlaub zu nehmen, erforderlichenfalls förmlich zu erfolgen habe.
Für die Arbeitgeber bedeutet diese Rechtsprechung eine gewisse Umstellung und etwas zusätzliche Arbeit für die Personalabteilungen. Denn die Regelung, dass Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen und gewährt werden muss, damit er nicht zum 31. März des Folgejahres verfällt, galt bisher sogar für Urlaub, der vom Arbeitnehmer rechtzeitig, aber erfolglos angefordert worden war. Arbeitnehmer konnten dann nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen Schadensersatz gerichtet auf die Gewährung von Ersatzurlaub verlangen.
Ab jetzt haben Arbeitgeber folgende Mitwirkungsobliegenheiten:
Sie tragen die Initiativlast. Es muss “klar und rechtzeitig”darauf hingewiesen werden, dass noch Urlaubstage ausstehen. Außerdem muss eine “konkrete Aufforderung”erfolgen, den Urlaub zu nehmen. Zusätzlich müssen Arbeitnehmer umfassend informiert werden, damit “völlige Transparenz”herrscht. Vor allem aber dürfen keine Anreize dafür geschaffen werden, dass Urlaub nicht genommen wird.
War ein Arbeitnehmer in der Lage, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, so sind die Anforderungen an eine “klare”Unterrichtung im Regelfall erfüllt, wenn darauf hingewiesen wird, dass Urlaub grundsätzlich am Jahresende verfällt. Es ist ratsam, diesbezügliche Mitteilungen an den Arbeitnehmer künftig schriftlich zu verfassen und zu archivieren, damit sie im Streitfall den Anforderungen des BAG gerecht werden. Für die Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten trägt nämlich der Arbeitgeber die Beweislast.
Um den Anforderungen an die “völlige Transparenz” gerecht zu werden, reicht es vermutlich nicht aus, die bestehenden Urlaubstage in den monatlichen Abrechnungen auszuweisen, wie es schon jetzt in vielen Unternehmen üblich ist. Auch Angaben im Arbeitsvertrag, einem Merkblatt oder eine Kollektivvereinbarung genügen in der Regel nicht. Die Frage, ob eine individuelle Benachrichtigung jedes einzelnen Mitarbeiters erforderlich ist oder auch eine einheitliche Aufforderung ausreicht, ist bisher noch ungeklärt.
Durch das BAG eindeutig festgestellt wurde nur, dass Arbeitgeber nicht von sich aus Urlaub gewähren müssen, um den Verfall zu verhindern. Dies hatte das LAG zunächst angenommen.
Ob der Arbeitgeber im Einzelfall alles Erforderliche getan hat, um seinen Mitwirkungsobliegenheiten zu genügen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände festzustellen.
Wenn ein Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen hat, wird der nicht verfallene Urlaub des Mitarbeiters zu dem Urlaubsanspruch des neuen Jahres addiert. Dadurch kommt die Frage auf, ob es in Zukunft zur unbegrenzten Anhäufung von Urlaubsansprüchen kommen kann.
Die Antwort ist vom einzelnen Arbeitgeber abhängig. Auch nicht verfallener Urlaub aus weiter zurückliegenden Jahren ist nicht privilegiert. Arbeitgeber können das Anhäufen von Urlaubsansprüchen ganz einfach verhindern, indem sie im folgenden Jahr ihre vorstehend bereits erläuterten Pflichten erfüllen. Dann ist der Arbeitnehmer in diesem Jahr verpflichtet, auch die bereits angehäuften Urlaubstage bis zum Jahresende zu nehmen, damit sie nicht verfallen.
Nicht nur bezüglich der konkreten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitnehmers sind auch nach den Urteilen von EuGH und BAG noch Fragen offen. Eine weitere bedeutende Frage, die sich nun auch viele Arbeitnehmer stellen, ist: Was ist mit vermeintlich verfallenen Ansprüchen aus den Vorjahren. Gelten die neuen Anforderungen auch schon für 2018? Bis wann kann man Urlaubsansprüche nachträglich geltend machen?
Da die Verjährung bisher nicht Gegenstand der Verhandlung war, gibt es zu diesen Fragen noch keine klare Antwort.
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