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Gleichberechtigung für Teilzeitkräfte: Zahlt ein Unternehmen Überstundenzuschläge, muss es das auch bei Teilzeitkräften tun – ab der ersten Überstunde.
Schon im Jahr 2016 waren 39 % der Erwerbstätigen in Deutschland in Teilzeit beschäftigt, Tendenz steigend. Mit seinem Urteil vom 19.12.2018 (10 AZR 231/18) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun einen Schritt hin zur Gleichberechtigung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitberechtigten gemacht.
Viele Tarifverträge sehen die Zahlung von Überstundenzuschlägen für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer erst bei Überschreiten der für Vollzeitbeschäftigte festgelegten Regelarbeitszeit vor. Ein Teilzeitbeschäftigter müsste also erst die gesamte Differenz zur Vollarbeitszeit über seine Arbeitszeit hinaus arbeiten, um dann für die nächste Stunde einen Überstundenzuschlag zu erlangen. Bis zu seiner Entscheidung im Dezember 2018 hat das BAG als Erklärung für diese ungleiche Behandlung das Vorliegen “sachlicher Gründe” genannt. Solche Gründe rechtfertigen gemäß § 4 I 1 TzBfG eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) dagegen hat bereits m Jahr 2004 entschieden, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung für jeden einzelnen Bestandteil des dem Arbeitnehmer gezahlten Entgelts gelten muss. Er bezieht sich also nicht nur darauf, dass das Entgelt für die Regelarbeitszeit anteilig dem eines Vollzeitbeschäftigten entsprechen muss. Auch Mehrarbeit muss gleich vergütet werden.
Zunächst hatte (nur) der 6. Senat des BAG seine Entscheidungspraxis etwas angepasst. In einer Entscheidung vom 26.04.2013 (6 AZR 800/11) hat er erstmals anerkannt, dass schon solche Arbeitsstunden, die über die im Schichtplan festgesetzten Stunden hinausgehen (ungeplante Überstunden), als Überstunden gelten.
In einem Urteil vom 23.03.2017 (6 AZR 161/16) hat sich der 6. Senat der Ansicht des EuGHs dann endgültig angeschlossen, indem er anerkannt hat, dass die Summe der Arbeitsstunden, ab der ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung für Teilzeitbeschäftigte entsteht, proportional zur vereinbarten Arbeitszeit vermindert werden muss.
Dem hat sich nunmehr auch der 10. Senat des BAG mit Urteil vom 19.12.2018 ausdrücklich angeschossen. Dadurch wird das Benachteiligungsverbot für Teilzeitbeschäftigte (§ 4 I TzBfG) umgesetzt. Ein Mitarbeiter, der vertraglich nur 20 Stunden arbeitet, erhält demnach einen Überstundenzuschlag schon ab der 21. Stunde. Sein Kollege, der vertraglich 38 Stunden arbeitet, erhält den Zuschlag ab Stunde 39.
Bei seiner bisherigen Rechtsprechung hatte das BAG die Belastungsgrenzen für Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte identisch festgelegt. Jeder musste also gleich viele Überstunden leisten, um einen Zuschlag zu erhalten. Diese formale Gleichbehandlung lässt aber den Aspekt außer Acht, dass sich ein Teilzeitbeschäftigter bewusst dazu entschieden hat, grundsätzlich nicht die volle Anzahl an Wochenarbeitsstunden zu erfüllen und führt dadurch zu einer Ungleichbehandlung. Genauso wie das Grundgehalt anteilig dem Gehalt eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entsprechen muss, muss auch die Summe der Arbeitsstunden, ab der ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, proportional zur vereinbarten Arbeitszeit vermindert werden.
Nur wenn ein Arbeitgeber so vorgeht, setzt er den Grundsatz der Gleichbehandlung aus § 4 I TzBfG in diesem Bereich richtig um. Aber Achtung: Die Entscheidung sagt nicht, dass Teilzeitmitarbeiter in jedem Fall Anspruch auf Vergütung der Überstunden oder einen Zuschlag haben. Es muss nur eine Gleichbehandlung zwischen Teilzeit- und Vollzeitmitarbeitern bestehen. Ob im Einzelfall Überstunden vergütet und ggf. sogar ein Zuschlag gezahlt werden muss, hängt in erster Linie vom Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag ab.
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