Das kirchliche Arbeitsrecht ist weiter in Bewegung. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und nun auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) haben wichtige Entscheidungen getroffen, die Mitarbeiter kirchlicher Arbeitgeber kennen sollten. Wir erklären die Entscheidungen hier.
Dürfen kirchliche Arbeitgeber von ihren Mitarbeitern verlangen, dass sie Mitglied der jeweiligen Religionsgemeinschaft sind? Im Fall der konfessionslosen Klägerin Egenberger hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Jahr 2016 hierzu eine Anfrage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestellt, um die Antidiskriminierungsrichtlinie (Art. 4 II Richtlinie 2000/78/EG) auslegen zu lassen. Der EuGH hatte entschieden, dass die Religionszugehörigkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen verlangt werden darf. Hierüber haben wir an anderer Stelle berichtet.
Das BAG hatte im Anschluss an die Entscheidung des EuGH zu klären, wie die Erörterungen des EuGH auf den konkreten Fall der Frau Egenberger anzuwenden sind. Hierzu hat es am 25.10.2018 (Az.: 8 AZR 501/14) ein Urteil gefällt.
Vera Egenberger hatte geklagt, weil sie sich im Jahr 2012 auf eine Stelle bei einem Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland beworben hatte und nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war. Mitglied der Evangelischen Kirche war sie nicht. Abgesehen davon erfüllte sie aber alle Anforderungen der Stellenausschreibung. Die Stelle wurde mit einem evangelischen Bewerber besetzt.
Frau Egenberger fühlte sich diskriminiert und forderte eine Entschädigung in Höhe von knapp 10.000 €.
Der EuGH hatte entschieden, dass die Kirchen grundsätzlich besondere religionsbezogene Anforderungen an ihre Bewerber stellen dürfen. Allerdings, so der EuGH, sei das nur legitim, wenn eine ausreichende Rechtfertigung vorliegt. Die Religionszugehörigkeit müsse bezüglich der konkret ausgeübten Tätigkeit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellen. Dies leitete der EuGH aus Art. 4 II Richtlinie 2000/78/EG her. Die deutsche Regelung des § 9 Abs. 1 Alt 1 AGG sieht einen solchen Vorbehalt erstmal nicht vor und steht nach Ansicht des EuGH deshalb nicht im Einklang mit europäischem Recht. Als Rechtfertigung für eine Benachteiligung könne die deutsche Regelung nur mit der Maßgabe herangezogen werden, dass die Regelung unionsrechtskonform ausgelegt wird.
Das BAG hatte nun also die Frage zu beantworten, ob die Zugehörigkeit des Stelleninhabers/der Stelleninhaberin zur evangelischen Kirche für die Ausübung der ausgeschriebenen Tätigkeit eine wesentlich, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung darstellte. Das ist nach Ansicht der Richter aus Erfurt nicht der Fall.
Bei der ausgeschriebenen Stelle ging es hauptsächlich darum, herauszuarbeiten, wie die UN-Antirassismuskonvention in Deutschland umgesetzt wurde. Außerdem sollte der Stelleninhaber/die Stelleninhaberin die Diakonie Deutschland projektbezogen gegenüber Politik, Öffentlichkeit und Menschenrechtsorganisationen vertreten und in Gremien mitarbeiten.
Der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin sollte dabei in einen internen Meinungsbildungsprozess beim Arbeitgeber eingebunden sein. In Fragen, die das besondere kirchliche Ethos des Arbeitgebers betrafen, sollte er oder sie gar nicht unabhängig handeln können.
Daraus folgt laut BAG, dass die berufliche Anforderung im konkreten Fall nicht gerechtfertigt war. Es bestehe keine besondere Gefahr dafür, dass das kirchliche Selbstverständnis beeinträchtigt würde, wenn ein Mitarbeiter die Stelle ausübt, der nicht evangelisch ist.
Das BAG sprach der Klägerin wegen dieser erheblichen Zweifel an der Wesentlichkeit der beruflichen Anforderung eine Entschädigung in Höhe von zwei Bruttomonatsverdiensten zu, also konkret knapp 4.000,00 €.
Im Hinblick auf die Höhe der Entschädigung ist das Urteil des BAG als Teilerfolg zu werten. Die Klägerin hatte 10.000 € gefordert und hat nun „nur“ knapp 4.000,00 € zugesprochen bekommen.
Im Hinblick auf die rechtlichen Auswirkungen der Entscheidung dürfte dieser Punkt aber nachrangig sein. Das BAG setzt die Vorgaben des EuGH konsequent um und schafft mit seinem Urteil einen Wegweiser für die zukünftige Rechtsprechung. Vor allem müssen kirchliche Arbeitgeber künftig sehr genau darauf achten, ob die Anforderungen, die sie an künftige Arbeitnehmer stellen, im konkreten Fall wirklich wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sind.
Zum Teil – aber eben nur zum Teil – haben kirchliche Arbeitgeber ihre Einstellungspraxis bereits den neuen Bedingungen angepasst. Bewerber und Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen sollten weiterhin ein Auge hierauf haben. Sollte ein kirchlicher Arbeitgeber Mitarbeiter oder Bewerber wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder wegen des Fehlens derselben benachteiligen, ohne dass dies durch die konkreten beruflichen Anforderungen der jeweiligen Aufgabe gerechtfertigt ist, können sie hiergegen vorgehen und ggf. eine Entschädigung einklagen.
1. Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht umfasst auch sonstige Maßnahmen, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen.
Greift der Arbeitgeber zu solchen sonstigen Maßnahmen, muss er die Grenzen billigen Ermessens wahren, indem er die wesentlichen Umstände des Falls abwägt und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt.
2. Eine sonstige Maßnahme im vorgenannten Sinne kann z.B. eine Dienstanweisung zur Gestaltung der Fingernägel bei Helferinnen und Helfern im Sozialen Dienst während der Arbeitszeit sein.
(Im konkreten Fall wurde die Wirksamkeit eines Verbots von u.a. lackierten Fingernägeln und Gelnägeln bejaht wegen vorrangiger Interessen der Arbeitgeberin als Trägerin eines Altenheims am Schutz der Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner)
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3.Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
4.Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Dienstanweisung.
Die Klägerin ist bei der Beklagten, die Trägerin eines Altenheimes ist, seit dem 01. August 2009 als Helferin im sozialen Dienst beschäftigt. Grundlage ist der Dienstvertrag vom 02. Juli 2009 nebst Nachträgen vom 25. September 2009 sowie 05. Juli 2010, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 4 – 6, 8 – 12 der Akte Bezug genommen wird.
Die Helferinnen und Helfer im sozialen Dienst stehen in direktem Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern des Altenheims und kümmern sich um deren Unterhaltung und Beschäftigung. Unter anderem wird einmal wöchentlich gemeinsam Kuchen für einen Wohnbereich gebacken, gelegentlich wird gegrillt, was etwa die Zubereitung von Salaten beinhaltet, oder Eis verteilt.
Am 19. Februar 2018 wurde eine Dienstanweisung vom 31. Januar 2018 am allgemein zugänglichen Infoboard ausgehängt, an dem auch die Dienstpläne ausgehängt werden. Mit dieser wurde “nach ausgiebiger Informationssammlung (…) die Dienstanweisung zum Thema “Fingernägel in der Pflege sowie in der Hauswirtschaft” mit sofortiger Wirkung auch auf die Mitarbeiterinnen des Sozialen Dienstes und die Mitarbeiterinnen des Betreuungsdienstes ausgedehnt (…)”. Diese Dienstanweisung zum Thema Fingernägel sieht vor, dass aus hygienischen Gründen das Tragen langer Fingernägel, lackierter Fingernägel, künstlicher Fingernägel und von Gelnägeln während der Arbeitszeit untersagt ist. Die vorgenommene Ausweitung der Dienstanweisung war von der Mitarbeitervertretung angestoßen worden.
Die Klägerin trug jedenfalls seit dem Jahr 2017 Gelnägel. Mit Schreiben vom 21. März 2018 wurde sie ermahnt, weil sie diese nicht entfernt hatte. Nunmehr leistet sie der Dienstanweisung zwar Folge. Sie wendet sich jedoch mit ihrer Klage gegen die Wirksamkeit dieser Dienstanweisung.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Weisung sei bereits in formeller Hinsicht zu beanstanden, da die in Bezug genommene Dienstanweisung zum Thema Fingernägel nicht zeitgleich ausgehangen oder übermittelt worden sei. Sie behauptet, sie sei als einzige Mitarbeiterin nicht unmittelbar seitens der Beklagten informiert worden. Darüber hinaus ist die Klägerin der Meinung, die Anweisung sei auch materiellrechtlich unwirksam, da sie nicht billigem Ermessen entspreche. Denn die Dienstanweisung wirke sich in erheblicher Weise auf ihr Privatleben aus, da sie auch während ihrer Freizeit Auswirkungen auf ihr persönliches Erscheinungsbild habe. Das temporäre An- und Ablegen der Gelnägel sei praktisch nicht durchführbar. Die Beklagte greife hierdurch erheblich in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht ein. Demgegenüber sei nicht ersichtlich, bei welchen konkreten Tätigkeiten die Gestaltung der Fingernägel die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner beeinträchtigen könne. Ihrer Meinung nach könne die von der Beklagten angeführte Hygiene etwa durch das Tragen von speziellen Handschuhen oder Fingerüberzügen gewahrt werden, die sie in der Freizeit weniger tangieren würden. Die von der Beklagten angeführten Empfehlungen des Bundesgesundheitsblattes sowie des Robert Koch Institutes bezögen sich nur auf medizinisches Personal und Pflegepersonal, zu dem sie gerade nicht gehöre. Die Klägerin beruft sich zudem darauf, nur äußerst sporadisch mit Tätigkeiten im Bereich der Nahrungszubereitung betraut zu sein, die im Übrigen überwiegend dem Küchenpersonal obliegen würden. Sie behauptet, in der Vergangenheit durchschnittlich einmal im Monat beispielsweise zum Kuchenbacken an Samstagen oder zur Vorbereitung des Abendessens eingeteilt gewesen zu sein. Im Übrigen würde sie den Kontakt mit Lebensmitteln vermeiden.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, die Dienstanweisung zum Thema “Fingernägel in der Pflege sowie in der Hauswirtschaft” zu befolgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, formale Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Anweisung bestünden nicht. Auch inhaltlich habe sie ihr arbeitgeberseitiges Direktionsrecht wirksam ausgeübt und nach Vornahme einer Interessenabwägung billiges Ermessen gewahrt. Das Verbot, andere als kurz geschnittene und natürliche Fingernägel zu tragen, sei aus Gründen der Hygiene zwingend geboten, wenn die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter im Rahmen der Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner oder beim Zubereiten von Speisen tätig sei. Bei der Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner komme es immer wieder zu Kontakt mit Nahrungsmitteln. So sei es immer wieder erforderlich, beispielsweise einen Joghurtbecher oder eine Chipstüte zu öffnen, Obst zu schälen und anzureichen, Getränke zu öffnen und einzuschütten etc. Jede Ausnahme berge das Risiko einer gesundheitlichen Beeinträchtigung der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Beklagte beruft sich insbesondere auf die Angaben im Bundesgesundheitsblatt sowie die Empfehlungen des Robert Koch Instituts, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 27, 28 der Akte Bezug genommen wird. Die dortigen Angaben bezögen sich auf Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen im Gesundheitswesen insgesamt, worunter auch das von ihr betriebene Altenheim falle. Hiernach sei auch das Tragen von Handschuhen keine geeignete Alternative. Die Beklagte verweist ergänzend auf Auszüge aus der Expertise “Aktion Saubere Hände” aus dem Jahr 2013, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 77 – 94 der Akte Bezug genommen wird. Die Beklagte behauptet, nach Rücksprache sowohl mit der internen als auch der externen Hygienefachbeauftragten hätten beide die Erforderlichkeit der Ausdehnung der Dienstanweisung zum Thema Fingernägel bestätigt. Ebenso hätten Erkundigungen bei vergleichbaren Einrichtungen in der Nähe ergeben, dass dort ebenfalls sämtlichen Beschäftigten das Tragen von künstlichen Fingernägeln und Gelnägeln etc. untersagt sei. Letztendlich sehe sie zum Schutz der Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner durch die Gewährleistung der Einhaltung der ihr auferlegten Hygienevorschriften keine andere Möglichkeit, als die Geltung und Einhaltung der Dienstanweisung für und durch alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klägerin ist verpflichtet, die Dienstanweisung zum Thema “Fingernägel in der Pflege sowie in der Hauswirtschaft” zu befolgen und mithin aus hygienischen Gründen das Tragen langer Fingernägel, lackierter Fingernägel, künstlicher Fingernägel und von Gelnägeln zu unterlassen. Die zugrunde liegende Dienstanweisung der Beklagten vom 31. Januar 2018, mit der diese Dienstanweisung auch auf die Klägerin als Mitarbeiterin im Sozialen Dienst ausgeweitet wurde, ist rechtmäßig, §§ 106 S. 2., 2 GewO, § 315 Abs. 3 BGB.
Nach § 106 S. 2. GewO kann der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dieses arbeitgeberseitige Direktionsrecht hat die Beklagte bei der Dienstanweisung vom 31. Januar 2018 zulässig ausgeübt.
2.. Formelle Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor. Es gibt keine vertraglichenoder gesetzlichen Regelungen dazu, wie die Beklagte als Arbeitgeberin das ihr grundsätzlich zustehende Direktionsrecht auszuüben hätte. Notwendig ist lediglich, dass die Klägerin als betroffene Arbeitnehmerin von der Dienstanweisung Kenntnis erlangt. Unstreitig weiß die Klägerin, dass die Beklagte neue Verhaltensregeln in Bezug auf Fingernägel aufgestellt hat.
2. Die Anweisung, wie die Klägerin ihre Fingernägel zu gestalten und zu tragen hat, kann auch grundsätzlich Gegenstand des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts gemäß § 106 GewO sein.
Das Weisungsrecht betrifft zum einen die Konkretisierung der Hauptleistungspflicht. Ebenfalls vom Weisungsrecht des Arbeitgebers umfasst, weil zur “Leistung der versprochenen Dienste” im Sinne des § 611 Abs. 2. BGB zählend, ist jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise von deren Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Als derartige Tätigkeit kann zum Beispiel das vorherige Anlegen einer arbeitgeberseitig vorgeschriebenen Dienstkleidung oder das Unterlassen des Tragens bestimmter privater Kleidungsstücke anzusehen sein (BAG, Urteil vom 02. November 2016 – 10 AZR 596/15 – Rn. 24, 25, juris). Auch die vorliegend streitige Anweisung, nur mit natürlichen und kurz geschnittenen Fingernägeln zu arbeiten, hängt mit der Erbringung der Arbeitsleistung zusammen und betrifft das Erscheinungsbild, das die Klägerin als Arbeitnehmerin bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zu wahren hat.
Das Weisungsrecht ist auch nicht durch arbeitsvertragliche, betriebliche, tarifvertragliche oder gesetzliche Regelungen beschränkt. Solche Regelungen bestehen hinsichtlich der Gestaltung der Fingernägel bei der Dienstausübung nicht.
3. Das ihr zustehende Weisungsrecht hat die Beklagte vorliegend rechtswirksam ausgeübt. Insbesondere hat sie die Grenzen billigen Ermessens gewahrt, § 106 S. 2. GewO, § 315 Abs. 3 BGB.
aa. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 GewO, § 315 Abs. 2. BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 106 GewO, § 315 Abs. 3 S. 2. BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat. Bei dieser Prüfung kommt es nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen hat der Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte (BAG, Urteil vom 18. Oktober 2017 – 10 AZR 330/16 – Rn. 45, juris).
Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind (BAG, Urteil vom 09. April 2014 – 10 AZR 637/13 – Rn. 26, juris).
bb. Danach entspricht die Dienstanweisung, die das Tragen langer Fingernägel, lackierter Fingernägel, künstlicher Fingernägel und von Gelnägeln im Dienst untersagt, billigem Ermessen. Die Beklagte hat hiermit den ihr zustehenden Spielraum bei einer Abwägung der wechselseitigen Interessen der Parteien zur Gewährleistung ihrer überwiegenden Interessen gewahrt.
(2.). Zugunsten der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass die nunmehr geltende Dienstanweisung ihr grundrechtlich gewährleistetes und geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 2. GG einschränkt. Dieses allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch das Recht, über die Gestaltung der äußeren Erscheinung auch im Dienst eigenverantwortlich zu bestimmen (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Januar 1991 – 2 BvR 550/90 – juris, dort anlässlich des Verbots des Tragens von Ohrschmuck). Die Grundrechte gelten auch innerhalb des Arbeitsverhältnisses und sind seitens der Beklagten als Arbeitgeberin grundsätzlich zu beachten. Das nunmehr ausgesprochene Verbot, künstliche, lackierte, gegelte und lange Fingernägel zu tragen, schränkt dieses Recht der Klägerin ein. Sie kann nicht mehr selbst entscheiden, wie sie ihre Fingernägel als Teil ihres äußeren Erscheinungsbildes gestalten möchte. Da das Auftragen der von der Klägerin zuvor getragenen Gelnägel mit einem besonderen Zeit- und auch Kostenaufwand verbunden ist, wirkt sich die nunmehrige Dienstanweisung der Beklagten zugleich auch auf das Privatleben der Klägerin aus. Sie hat nicht ohne weiteres die Möglichkeit, die Gelnägel lediglich für die Zeiten des Dienstes abzulegen und in der Freizeit ohne größeren Aufwand wieder zu tragen.
(2). Demgegenüber hat die Beklagte ein besonderes Interesse daran, die Gesundheit und das körperliche Wohlbefinden der ihr anvertrauten Bewohnerinnen und Bewohner bestmöglich zu schützen. Auch dieses Recht auf körperliche Unversehrtheit ist in Art. 2 Abs. 2 S. 2. GG grundrechtlich besonders geschützt. Die von der Beklagten angeführten Hygienevorschriften und -standards sollen dieses Recht gewährleisten und verhindern, dass die Bewohnerinnen und Bewohner erkennbaren und vermeidbaren Gesundheitsgefahren ausgesetzt werden. Der Beklagten obliegt gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern, die sie in Obhut genommen hat, eine besondere Fürsorgepflicht. Sie hat als Betreiberin des Altenheims dafür Sorge zu tragen, dass von ihrer Einrichtung, den dortigen Zuständen und insbesondere auch von den dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keine Gesundheitsgefahren für die Bewohnerinnen und Bewohner ausgehen.
(3). Bei der Abwägung dieser widerstreitenden Interessen durfte die Beklagte nach Auffassung der Kammer die Angaben und Empfehlungen im Gesundheitsblatt, wiederholt auch vom Robert Koch Institut, zugrunde legen. Diese Empfehlungen beruhen auf einem besonderen diesbezüglichen Fachwissen und sollen gerade die auch hier maßgebliche Fragen beantworten, ob von langen, künstlichen und gegelten Fingernägeln Gesundheitsgefahren ausgehen und wie diesen am effektivsten begegnet werden kann.
Im Bundesgesundheitsblatt (Bl. 28 der Akte) heißt es auszugsweise:
“Die Voraussetzungen für eine effektive Händedesinfektion sind nur z.T. untersucht und leiten sich überwiegend aus der hygienischen Risikobewertung ab.
Klinik, Praxis, Pflegeeinrichtungen und andere medizinische Arbeitsbereiche sind mit sichtbar sauberen Händen und Fingernägeln zu betreten. (…) Kurzgeschnittene, mit den Fingerkuppen abschließende Fingernägel gewährleisten die Reinigung der subungutalen Spatien und minimieren die Gefahr der Handschuhperforation an den Fingerkuppen. Nagellack ist abzulehnen, weil er die Sichtbeurteilung der Nägel behindert und mit steigender Tragedauer die Kolonisation auf den Nägel zunimmt. Obwohl der Einfluss bei frischem Nagellack nicht nachweisbar war, ist die Empfehlung, keinen Nagellack im Gesundheitswesen zu tragen, berechtigt, weil das Alter des Nagellacks und dessen Güte (Mikrorisse u.ä.) in praxi nicht beurteilbar sind. Die Bakteriendichte ist auf künstlichen Nägeln höher als auf natürlichen. Zugleich beeinträchtigen künstliche Nägel den Erfolg der Händehygiene und erhöhen die Perforationsgefahr für Einmalhandschuhe. Wiederholt konnten künstliche Nägel als Quelle für NI (nosokomiale Infektionen) bei immunsupprimierten Patienten und für Ausbrüche postoperativer Wundinfektionen identifiziert werden. (…)”
Auch die Empfehlungen des Robert Koch Instituts (Bl. 27 der Akte) zitieren diese Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention. Hier heißt es weiter:
“In Kapitel 11 der (KRINKO-) Empfehlung heißt es weiter: “Nagellack ist nicht zulässig (…). Das Tragen künstlicher und gegelter Fingernägel ist unzulässig (…).”
Die hier aufgeführten Aussagen und Empfehlungen sind eindeutig und unmissverständlich. Aus Hygienegesichtspunkten wird hier deutlich empfohlen, ausschließlich natürliche und kurz geschnittene Fingernägel zu tragen. Dies wird zum einen damit begründet, dass hierdurch eine bessere Sichtkontrolle für etwaige Verunreinigungen ermöglicht wird und die Gefahr von Beschädigungen von Einmalhandschuhen minimiert wird. Zum anderen wird auf eine erhöhte Bakteriendichte auf künstlichen Nägeln hingewiesen ebenso wie die Möglichkeit von Materialermüdung des Lacks im Laufe der Zeit.
(4). Vor dem Hintergrund dieser Empfehlungen hält sich auch die von der Beklagten nunmehr ausgesprochene Dienstanweisung, dass auch Helferinnen und Helfer im Sozialen Dienst grundsätzlich keine künstlichen Fingernägel, lackierten Fingernägel, langen Fingernägel und Gelnägel während des Dienstes tragen dürfen, innerhalb des ihr zustehenden Spielraums.
Zunächst gelten die Angaben und Erwägungen im Gesundheitsblatt sowie beim Robert Koch Institut unabhängig davon, ob das von der Beklagten betriebene Altenheim unter die genannten Einrichtungen des Gesundheitswesens oder Pflegeeinrichtungen fällt. Ebenso unerheblich ist, ob die Klägerin zum pflegerischen oder medizinischen Personal in diesem Sinne zählt. Die angesprochenen Fragen gelten letztendlich bei jedem Kontakt zwischen Menschen.
Sie kommen nach Auffassung der Kammer bei dem von der Beklagten betriebenen Altenheim besonders zum Tragen. Im hier zu beurteilenden Fall müssen vor diesem Hintergrund die ebenfalls berechtigten Interessen der Klägerin an der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit und der freien Gestaltung ihres äußeren Erscheinungsbildes hinter die berechtigten Interessen der Beklagten an einem bestmöglichen Gesundheitsschutz der ihr anvertrauten Bewohnerinnen und Bewohner zurücktreten. Auch wenn die Tätigkeit der Klägerin nicht schwerpunktmäßig in der Zubereitung von Speisen besteht, sie selten in Kontakt zu Lebensmitteln der Bewohnerinnen und Bewohner kommt und sie nicht für deren körperliche Pflege zuständig ist, so arbeitet sie doch eng mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zusammen, um diese zu unterhalten und zu beschäftigen. Hierbei kann die Beklagte die Möglichkeit, dass die Klägerin in Kontakt zu Lebensmitteln oder direkten körperlichen Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern kommt, nicht sicher ausschließen. Dies wird zudem nicht dem Sinn und Zweck der Tätigkeit als Helferin bzw. Helfer im Sozialen Dienst entsprechen. In dieser Situation hat die Beklagte – wie bereits ausgeführt – ein berechtigtes Interesse daran, die Bewohnerinnen und Bewohner so gut wie möglich vor Gesundheitsgefahren zu schützen, die auch von der Klägerin und den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sozialen Dienst ausgehen können.
Nach Auffassung der Kammer durfte die Beklagte bei dieser Abwägung zulässigerweise zu dem Ergebnis kommen, dass hier nur die im Gesundheitsblatt und vom Robert Koch Institut ausgesprochene Empfehlung, ausschließlich natürliche und kurz geschnittene Nägel zu tragen, ausreichend sicheren Schutz bietet. Während eine etwaige Infektion einer Bewohnerin oder eines Bewohners, die durch künstliche oder lange Fingernägel hervorgerufen werden könnte, gerade bei älteren und möglicherweise geschwächten Personen eine ganz erhebliche Gesundheitsgefahr darstellen kann, ist auf der anderen Seite der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin, das lediglich die Gestaltung der Fingernägel als kleiner Teil ihres äußeren Erscheinungsbildes betrifft, als gering anzusehen.
Bei dieser Abwägung und ebenfalls unter Berücksichtigung der eindeutigen Empfehlungen der Experten musste sich die Beklagte auch nicht auf eine Anweisung zum Tragen bestimmter Handschuhe beschränken. Ebenso ist es nach Auffassung der Kammer unerheblich, wie viel die Klägerin selbst in letzter Zeit in Kontakt zu Lebensmitteln gekommen ist. Wie bereits ausgeführt, greifen auch bei ihr die grundsätzlichen Überlegungen ein, dass sie in ständigem engen Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern steht. Zudem ist es nach Auffassung der Kammer nachvollziehbar und hält sich ebenfalls im Rahmen billigen Ermessens, die Dienstanweisung und Verhaltensweisen in Bezug auf die Gestaltung der Fingernägel einheitlich auf alle Beschäftigten, insbesondere auf alle Helferinnen und Helfer im Sozialen Dienst auszudehnen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 S. 2. ArbGG, §§ 495, 91 Abs. 2. S. 2. ZPO. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterlag.
Den im Urteil gemäß § 61 Abs. 2. ArbGG auszuweisenden Streitwert hat die Kammer auf 3.000,00 EUR festgesetzt. Grundlage sind die § 46 Abs. 2 S. 2. ArbGG, §§ 495, 3 ZPO.
Gründe im Sinne des § 64 Abs. 3 ArbGG für die gesonderte Zulassung der Berufung sind vorliegend nicht ersichtlich.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei Berufung eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
Landesarbeitsgericht Köln
Blumenthalstraße 33
50670 Köln
Fax: 0221 7740-356
eingegangen sein.
Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
Schon im Jahr 2016 waren 39 % der Erwerbstätigen in Deutschland in Teilzeit beschäftigt, Tendenz steigend. Mit seinem Urteil vom 19.12.2018 (10 AZR 231/18) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun einen Schritt hin zur Gleichberechtigung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitberechtigten gemacht.
Viele Tarifverträge sehen die Zahlung von Überstundenzuschlägen für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer erst bei Überschreiten der für Vollzeitbeschäftigte festgelegten Regelarbeitszeit vor. Ein Teilzeitbeschäftigter müsste also erst die gesamte Differenz zur Vollarbeitszeit über seine Arbeitszeit hinaus arbeiten, um dann für die nächste Stunde einen Überstundenzuschlag zu erlangen. Bis zu seiner Entscheidung im Dezember 2018 hat das BAG als Erklärung für diese ungleiche Behandlung das Vorliegen “sachlicher Gründe” genannt. Solche Gründe rechtfertigen gemäß § 4 I 1 TzBfG eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) dagegen hat bereits m Jahr 2004 entschieden, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung für jeden einzelnen Bestandteil des dem Arbeitnehmer gezahlten Entgelts gelten muss. Er bezieht sich also nicht nur darauf, dass das Entgelt für die Regelarbeitszeit anteilig dem eines Vollzeitbeschäftigten entsprechen muss. Auch Mehrarbeit muss gleich vergütet werden.
Zunächst hatte (nur) der 6. Senat des BAG seine Entscheidungspraxis etwas angepasst. In einer Entscheidung vom 26.04.2013 (6 AZR 800/11) hat er erstmals anerkannt, dass schon solche Arbeitsstunden, die über die im Schichtplan festgesetzten Stunden hinausgehen (ungeplante Überstunden), als Überstunden gelten.
In einem Urteil vom 23.03.2017 (6 AZR 161/16) hat sich der 6. Senat der Ansicht des EuGHs dann endgültig angeschlossen, indem er anerkannt hat, dass die Summe der Arbeitsstunden, ab der ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung für Teilzeitbeschäftigte entsteht, proportional zur vereinbarten Arbeitszeit vermindert werden muss.
Dem hat sich nunmehr auch der 10. Senat des BAG mit Urteil vom 19.12.2018 ausdrücklich angeschossen. Dadurch wird das Benachteiligungsverbot für Teilzeitbeschäftigte (§ 4 I TzBfG) umgesetzt. Ein Mitarbeiter, der vertraglich nur 20 Stunden arbeitet, erhält demnach einen Überstundenzuschlag schon ab der 21. Stunde. Sein Kollege, der vertraglich 38 Stunden arbeitet, erhält den Zuschlag ab Stunde 39.
Bei seiner bisherigen Rechtsprechung hatte das BAG die Belastungsgrenzen für Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte identisch festgelegt. Jeder musste also gleich viele Überstunden leisten, um einen Zuschlag zu erhalten. Diese formale Gleichbehandlung lässt aber den Aspekt außer Acht, dass sich ein Teilzeitbeschäftigter bewusst dazu entschieden hat, grundsätzlich nicht die volle Anzahl an Wochenarbeitsstunden zu erfüllen und führt dadurch zu einer Ungleichbehandlung. Genauso wie das Grundgehalt anteilig dem Gehalt eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entsprechen muss, muss auch die Summe der Arbeitsstunden, ab der ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, proportional zur vereinbarten Arbeitszeit vermindert werden.
Nur wenn ein Arbeitgeber so vorgeht, setzt er den Grundsatz der Gleichbehandlung aus § 4 I TzBfG in diesem Bereich richtig um. Aber Achtung: Die Entscheidung sagt nicht, dass Teilzeitmitarbeiter in jedem Fall Anspruch auf Vergütung der Überstunden oder einen Zuschlag haben. Es muss nur eine Gleichbehandlung zwischen Teilzeit- und Vollzeitmitarbeitern bestehen. Ob im Einzelfall Überstunden vergütet und ggf. sogar ein Zuschlag gezahlt werden muss, hängt in erster Linie vom Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag ab.
Wer Elternzeit nehmen möchte, stellt sich auch die Frage, was mit seinem Job nach Ende der Elternzeit passiert. Kann ich wieder auf meine alte Stelle zurückkehren? Kann mich der Arbeitgeber auf eine andere Stelle, sogar an einen anderen Ort versetzen? Auch für Arbeitgeber ist das entscheidend, weil die Personalplanung davon abhängen kann. Die Antworten sind indes nicht immer einfach.
Während der Elternzeit bleibt das Arbeitsverhältnis rechtlich bestehen, lediglich die arbeitsvertraglichen Pflichten ruhen. Der Arbeitnehmer muss nicht arbeiten, bekommt aber auch kein Geld. Nach Ende der Elternzeit leben die gegenseitigen Pflichten wieder auf. Mütter oder Väter haben Anspruch darauf, weiter beschäftigt zu werden. Insofern besteht eine Beschäftigungsgarantie. Arbeitnehmer sollen nicht fürchten müssen, ihre Stelle zu verlieren, weil sie sich eine Zeit lang um den Nachwuchs kümmern wollen. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber kann deshalb während der Elternzeit nur ausnahmsweise und mit Zustimmung der Behörden ausgesprochen werden.
Allerdings haben Arbeitnehmer nicht unbedingt einen Anspruch darauf, auf genau der Stelle beschäftigt zu werden, die sie vor der Elternzeit hatten. Die Beschäftigung muss „nur“ den Regelungen des Arbeitsvertrags entsprechen. Die vorherigen Bedingungen, zum Beispiel bezüglich Position, Arbeitszeit und Arbeitsort müssen grundsätzlich erfüllt sein. Viele Arbeitsverträge sind aber in dieser Hinsicht flexibel und lassen eine Versetzung auf eine andere Stelle zu. Denn der Arbeitgeber kann im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO Inhalt, Ort und Zeit der Tätigkeit näher bestimmen.
Will der Arbeitgeber einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin nach Ende der Elternzeit auf einem anderen Arbeitsplatz einsetzen als zuvor, kann er das im Rahmen dieses Direktionsrechts machen. Das geht aber nicht grenzenlos. Den Rahmen steckt der Arbeitsvertrag ab. Ist dort die Position und der Ort der Tätigkeit nur grob umrissen, hat der Arbeitgeber einen Spielraum. Das Gleiche gilt, wenn eine wirksame Versetzungsklausel enthalten ist.
In jedem Fall aber muss der Arbeitgeber sein Direktionsrecht nach billigem Ermessen ausüben. Er kann also nicht einfach willkürlich entscheiden, sondern muss auch die Belange des Arbeitnehmers berücksichtigen und mit seinen eigenen Interessen abwägen. Eine Versetzung auf eine andere Stelle ist dabei grundsätzlich nur möglich, wenn die neue Stelle mindestens gleichwertig ist und der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin dafür entsprechend qualifiziert ist. Außerdem muss der Arbeitgeber auf die persönliche Situation des Mitarbeiters Rücksicht nehmen. Wenn die neue Tätigkeit mit erheblich mehr Dienstreisen verbunden ist, kann das für die jungen Eltern mit Betreuungsproblemen einhergehen. Dann muss der Arbeitgeber gut begründen, warum ihm die Versetzung auf diese neue Stelle so wichtig ist.
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Mitarbeitern über Jahre hinweg Aufgaben zugeteilt werden, die ursprünglich gar nicht in ihren Tätigkeitsbereich fallen sollten. Insbesondere kann es passieren, dass dauerhaft Führungsaufgaben übernommen werden, die nicht Bestandteil des Arbeitsvertrags sind. Das kann zu einer Erweiterung der arbeitsvertraglichen Tätigkeitsbeschreibung führen, wodurch bei Rückkehr aus der Elternzeit ein Anspruch auf eine Tätigkeit besteht, die die zuvor erfüllten Führungsaufgaben umfasst. Hier lohnt es sich also, genau hinzusehen und die Umstände des Einzelfalls genau in den Blick zu nehmen.
Es lässt sich als Fazit festhalten, dass in der Regel kein konkreter Anspruch auf die alte Tätigkeit besteht. Tendenziell hat der Arbeitgeber einen Spielraum. Deshalb lohnt es sich, frühzeitig miteinander Kontakt aufzunehmen und über den Wiedereinstieg zu sprechen. Stellt sich heraus, dass der Arbeitgeber einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin auf einer Stelle einsetzen will, die nicht mehr vom Arbeitsvertrag gedeckt ist, kann hierüber eine Vertragsänderung abgeschlossen werden. Wird man sich nicht einig, kann der Arbeitgeber im äußersten Fall eine Änderungskündigung aussprechen und so die Vertragsänderung erzwingen. Spätestens dann ist es sinnvoll, sich rechtlichen Rat einzuholen.
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Wer unseren Blogbeitrag zum Thema „Konfessionslos in der Kirche?“ gelesen hat, weiß bereits, dass nicht mehr jeder bei einem kirchlichen Arbeitgeber angestellte Arbeitnehmer zwangsläufig der jeweiligen Religionsgemeinschaft angehören muss. Dies ist nur ein Aspekt der Entwicklung, die derzeit im Hinblick auf das kirchliche Arbeitsrecht stattfindet. Diese Rechtsprechung des EuGHs von April 2018 wurde nun fortgeführt. Künftig bedarf auch eine Kündigung aufgrund von Verstößen gegen den Ritus der katholischen Eheschließung einer besonderen Rechtfertigung.
Die katholische Kirche stellt an ihre Mitarbeiter spezielle Anforderungen, die zum Teil weit in die persönliche Sphäre der Mitarbeiter hineinreichen. Diese Anforderungen sind in der sogenannten Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (Grundordnung) geregelt. Unter anderem verbietet die Grundordnung den Mitarbeitern, nach einer Scheidung erneut zu heiraten. Verstößt ein Mitarbeiter hiergegen, sind nach der Grundordnung kirchliche Arbeitgeber berechtigt, den Mitarbeiter zu kündigen – jedenfalls bisher. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dem nun Grenzen gesetzt. Mit Urteil vom 11.09.2018 (Az.: C-68/17) hat der EuGH entschieden, dass als Rechtfertigung für eine Kündigung ein objektiv überprüfbarer Zusammenhang zwischen den Anforderungen kirchlicher Arbeitgeber an ihre Mitarbeiter und deren konkreter Tätigkeit vorliegen muss. Dieser Zusammenhang muss sich aus der Art der Tätigkeit und den Umständen ihrer Ausübung ergeben.
Der Entscheidung des Gerichtshofs liegt folgender Fall zugrunde: Der betroffene Arbeitnehmer arbeitete seit 2000 als Chefarzt in einem katholischen Krankenhaus. Er war nach katholischem Ritus verheiratet. Jedoch trennte sich seine erste Ehefrau im Jahr 2005 von ihm und die Ehe wurde im März 2008 geschieden. Als der Betroffene im August 2008 erneut standesamtlich heiratete, war die erste Ehe zwar geschieden, aber nicht nach kirchlichem Recht für nichtig erklärt worden. Die kirchenrechtliche Annullierung der Ehe beantragte der Arzt erst nach der Hochzeit. Dies teilte er seinem Arbeitgeber in einem Gespräch am 26. Januar 2009 mit. In einem Schreiben vom 30.03.2009 kündigte die Kirche daraufhin zum 30.09.2009 das Arbeitsverhältnis.
Nach Ansicht der Kirche liegt in der zweiten Hochzeit ein die Kündigung rechtfertigender Verstoß gegen die Pflichten des Arbeitnehmers. Denn Art. 5 II Nr. 2c der Grundordnung berechtigt die Kirche zu einer Kündigung wegen unzulässigen Abschlusses einer Zivilehe, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen. Voraussetzung für eine Ehe sei nach kirchlichem Recht, dass nie eine gültige Ehe nach kirchlichem Verständnis bestanden habe. Erst durch den Ausspruch der Nichtigkeit einer Ehe, wird rechtswirksam festgestellt, dass sie aus kirchlicher Sicht nach katholischem Eherecht nicht gültig zustande gekommen ist, also nach katholischem Verständnis nie eine gültige Ehe bestand. Die Ehe des Arztes war aber – jedenfalls zum Zeitpunkt der zweiten Hochzeit – nicht für nichtig erklärt worden.
Der Arzt brachte gegen die Kündigung folgende Argumente vor: Er hätte den Geschäftsführer schon im Herbst 2006 über die eheähnliche Gemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau informiert und dieser habe auch noch im März 2009 erklärt, dass ihn das Privatleben des Arztes nicht interessiere. Des Weiteren seien die Trennung und die zweite Heirat vor der Kündigung nicht in der Öffentlichkeit bekannt gewesen und hatten dementsprechend auch kein Ärgernis erregt. Deshalb sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt (§ 1 KSchG). Zuletzt stelle die Verletzung von Loyalitätsobliegenheiten allein noch keine sachliche Rechtfertigung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar.
Die Kirche widerspricht dem. Sie behauptet, erst am 25.11.2008 Kenntnis von der erneuten staatlichen Eheschließung und dem vorangegangenen eheähnlichen Verhältnis erlangt zu haben. Der Arzt habe durch die Eingehung der zweiten Ehe eine ungültige Ehe im Sinne des Art. 5 II der Grundordnung abgeschlossen.
Der Entscheidung ist ein langer Prozess vor den deutschen Gerichten bis zum Bundesverfassungsgericht vorausgegangen: Das Arbeitsgericht Düsseldorf (ArbG) hatte der Kündigungsschutzklage des Anwaltes nach der Durchführung einer Interessenabwägung zunächst stattgegeben. Grundsätzlich sei es zwar den Kirchen überlassen, zu bestimmen, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihre Verkündigung erfordert und insoweit die Grundordnung zu beachten. Allerdings müsse trotzdem überprüft werden, ob die Verletzung von Loyalitätsobliegenheiten die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch sachlich rechtfertigt. Dies sei hier nicht der Fall. Wegen des eingeleiteten Annullierungsverfahrens stand nämlich noch nicht fest, ob der Arzt überhaupt eine ungültige Ehe eingegangen war. Die Grundordnung benennt aber nur eine „ungültige“ Ehe als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß. Deshalb sei nicht ersichtlich, warum ein Abwarten über die Annullierungsentscheidung für die Kirche unzumutbar gewesen wäre. Das Interesse der Kirche am Erhalt ihrer Glaubwürdigkeit sei nicht konkret gefährdet gewesen.
Die Berufung und die Revision der Arbeitgeberin vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG) und dem Bundesarbeitsgericht (BAG) wurden zurückgewiesen. Dabei wurde zusätzlich zu den vom ArbG angeführten Aspekten als ein Grund für die Entscheidungen der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz angeführt. Vor Ausspruch der Kündigung waren nämlich zwei weitere Chefärzte anders behandelt worden, obwohl sie sich in derselben Situation befanden. Außerdem berücksichtigte das BAG, dass der Arzt nach wie vor zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre steht. Zusätzlich bezog es in seine Entscheidung mit ein, dass der Wunsch, in einer Ehe zusammenleben zu dürfen, grundrechtlich geschützt ist.
Die Kirche legte gegen die Entscheidung des BAG Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verwies die Sache an das BAG zurück. Das BAG sollte anhand einer Plausibilitätskontrolle überprüfen, ob die Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist. Das BVerfG hielt dem BAG vor, seine eigene Einschätzung der Bedeutung des Loyalitätsverstoßes an die Stelle der kirchlichen Einschätzung gesetzt zu haben. Die Einschätzung der Kirche entspreche aber anerkannten kirchlichen Maßstäben und stehe nicht mit grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen im Widerspruch.
Deshalb legte das BAG dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 4 II RL 2000/78/EG zur Vorabentscheidung vor.
Der EuGH entschied, dass die nationalen Gerichte überprüfen müssen, ob die Anforderungen von kirchlichen Arbeitgebern wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sind. Dies hänge im Einzelfall von der Art der fraglichen Tätigkeit und der Umstände ihrer Ausübung ab. Nur, wenn zwischen der konkreten Tätigkeit und den aufgestellten Anforderungen ein objektiv überprüfbarer Zusammenhang bestehe, sei eine Ungleichbehandlung wegen der Religion rechtmäßig. Der Gerichtshof legt die Kriterien der Wesentlichkeit, Rechtfertigung und Rechtmäßigkeit insoweit wie bereits im Fall Egenberger (Az.: C-414/16), welcher Anlass zu unserem Beitrag „Konfessionslos in der Kirche?“ war, aus.
Hinzu kommt, dass die nationalen Gerichte laut EuGH die Vereinbarkeit von Anforderungen an Arbeitnehmer mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überprüfen müssen. Das bedeutet, dass die Anforderungen angemessen sein müssen und nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen dürfen.
Im vorliegenden Fall kam der EuGH deshalb zu dem Ergebnis, dass der Kernbereich der Religionsgemeinschaft bei den Tätigkeiten des Chefarztes nicht ausreichend betroffen ist, um eine Kündigung wegen Wiederheirat zu rechtfertigen. Die Akzeptanz des Verständnisses der katholischen Kirche vom heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung ist laut EuGH für die Bekundung der sittlichen Grundhaltung der Kirche nicht notwendig. Mit anderen Worten: Die Tätigkeit als Chefarzt erfordert nicht, dass sich der Mitarbeiter dem besonderen katholischen Verständnis von Ehe unterwirft.
Auch das kirchliche Arbeitsrecht muss sich also ein Stück weit dem Wandel der heutigen Zeit anpassen. Spezielle Anforderungen an kirchliche Arbeitnehmer bedürfen immer mehr einer gesonderten Rechtfertigung, als dies früher der Fall war. Früher selbstverständliche Loyalitätspflichten werden zunehmend kritisch gesehen.
Dies zeigt sich nicht nur in der jüngsten Rechtsprechung, sondern auch in der Überarbeitung der Grundordnung. Während nach der Fassung vom 20.06.2011 allein der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe als Kündigungsgrund ausreichte, wird in der aktuellen Fassung zusätzlich eine konkrete Gefahr des Erregens öffentlichen Ärgernisses gefordert. Insoweit wurde durch die Überarbeitung in diesem Bereich schon ein Stück weit mehr Verbindung zur weltlichen Realität hergestellt.
Gegen den Wandel der Zeit wird sich die Kirche auch in Zukunft nicht wehren können. Das Grundgesetz gewährt den Kirchen historisch bedingt weitgehende Befugnisse und erkennt das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen an. Ausprägung dessen ist unter anderem das kirchliche Dienstrecht, dem z. B. unterliegt, wer als Kleriker im Dienst der Kirche tätig ist. Das kirchliche Dienstrecht lässt sich mit den Grundsätzen des weltlichen Arbeitsrechts nicht greifen. Wo aber die Kirche privatautonom Arbeitsverträge mit Mitarbeitern schließt, tendiert die jüngste Rechtsprechung dazu, die Sonderrolle der Kirchen in Frage zu stellen. Dies betrifft ungezählte Mitarbeiter in Krankenhäusern, KiTas, der Caritas, etc.
Losgelöst von rechtlichen Erwägungen entsteht zudem in der Wahrnehmung der politischen und gesellschaftlichen Diskussion der Eindruck, dass das Verständnis für die erhöhte Verbindlichkeit, die die Kirchen von ihren Mitarbeitern verlangen, eher schwindet als wächst. Dies mag unter anderem damit zusammenhängen, dass die Grundsätzen in den verschiedenen Kirchen im Detail oft unterschiedlich gehandhabt werden und insoweit je nachdem einzelne Glaubensgemeinschaften in der Öffentlichkeit besser und weltoffener dastehen als andere. Die sinkende Akzeptanz kann auch mit dem generellen Rückgang der Mitgliederzahlen in den Religionsgemeinschaften erklärt werden. Wir werden die Entwicklungen im kirchlichen Arbeitsrecht auch in Zukunft im Blick behalten.
In einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit hat das BAG mit Urteil vom 22. September 2017 (Az.: 2 AZR 848/15) entschieden, dass die Verwertung eines Zufallsfundes aus einer Videoüberwachung als zulässig angesehen werden kann. Wird in einem Supermarkt also wegen des Verdachts auf Zigarettendiebstahl eine verdeckte gerechtfertigte Videoüberwachung durchgeführt, so können auch andere auf diese Weise entdeckte Straftaten als Beweismittel verwertet werden.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht werde dadurch nach Ansicht des BAG nicht unzulässig verletzt und müsse daher hinter das Strafverfolgungsinteresse treten.
Als der Arbeitgeber – der Inhaber eines Supermarktes – im Laufe einer Inventur im Bereich des „Tabak/ Zigaretten“ und „Nonfood“ einen Verlust in Höhe des Zehnfachen im Vergleich zum Vorjahr feststellte, ordnete er eine verdeckte Videoüberwachung seiner Mitarbeiter im Kassenbereich an. Der Betriebsrat stimmte der verdeckten Videoüberwachung zu, nachdem vorherige Taschenkontrollen, die einen Diebstahl hätten erkennen lassen, zu keinem Ergebnis führten.
Doch anstatt die Zigarettendiebe zu überführen, wurde die stellvertretende Filialleiterin dabei gefilmt, wie sie eine Musterpfandflasche scannte und den Leergutpfand in Höhe von EUR 3,25 für sich behielt.
Daraufhin wurde die stellvertretende Filialleiterin aufgrund der Unterschlagung nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit fristlos gekündigt.
Mit dem vorinstanzlichen Urteil des LG Düsseldorf (7. Dezember 2015 – 7 Sa 1078/14) wird bestätigt, dass auch bei einem relativ geringen Schaden in Höhe von EUR 3,25 ein gravierender Vertrauensbruch gerechtfertigt werden kann. Dieser wiederrum kann in der Folge zu einer gerechtfertigten fristlosen Kündigung führen. Soweit so gut. Damit liegt das LAG auf der Linie der in den letzten Jahren viel diskutierten Rechtsprechung des BAG unter anderem im Fall Emmely.
Doch Streitthema im Revisionsverfahren war die Verwertbarkeit der Videoaufnahmen. Diese sollten zwar von vorneherein nur zur Aufklärung der Zigarettendiebstähle führen. Zeigen diese allerdings eine andere Straftat durch einen sogenannten „Zufallsfund“, so sei nach Ansicht des BAG auch dieser verwertbar.
In den Urteilsauführungen macht das BAG deutlich, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild nicht in einer unzulässigen Weise durch die Aufnahmen verletzt werde. Denn
Eingriffe in das Recht der Arbeitnehmer am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung sind dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers besteht.
Allerdings nur, soweit es keine Alternative zu der Videoüberwachung gebe.
Nach dem alten Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) dürfen die personenbezogene Daten aus einer ursprünglich gerechtfertigten Videoüberwachung auch dann verarbeitet und genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über eine Kündigung erforderlich ist (§ 32 Abs. 1 S. 1 BDSG-alt). Die Verwertung des Zufallsfundes aus der Videoüberwachung sei daher nicht zu beanstanden.
Das BDSG-neu regelt nunmehr im § 26 BDSG ähnliche Verwendungserlaubnisse, nämlich:
Personenbezogene Daten von Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz oder einem Tarifvertrag, einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (Kollektivvereinbarung) ergebenden Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist.
Damit dürfte sich auch in Zeitden der DSGVO kein anderes Ergebnis vermuten lassen.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat in seiner Entscheidung vom 16 Mai 2017 (Az.: 7 Sa 38/17) eine außerordentliche fristlose Kündigung für wirksam erachtet. Ein Arbeitnehmer hatte zuvor betriebliche Unterlagen an seine private E-Mail-Adresse zur Vorbereitung einer Tätigkeit bei einem neuen Arbeitgeber geschickt. Der Mitarbeiter arbeitete in der Regel vom Home-Office aus, wofür ihm der Arbeitgeber einen dienstlichen Laptop zur Verfügung gestellt hatte.
Das LAG betonte in seiner Entscheidung, dass es dem Arbeitnehmer nicht gestattet sei, sich ohne die Erlaubnis seines Arbeitgebers betriebliche Unterlagen anzueignen.
Im vorliegenden Fall hat der Arbeitnehmer mehrfach gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen. Er sendete sich mittels zahlreicher E-Mails betriebliche Unterlagen an seine Privatadresse und nutzte diese für betriebsfremde Zwecke. Hinzu kam, dass er die Pflichtverletzung vorsätzlich beging und eine konkrete Gefährdung für die geschäftlichen Interessen seines Arbeitgebers verursachte. Denn die Unterlagen enthielten unter anderem vertrauliche und ausführliche Kundendaten, Preislisten sowie Projektunterlagen.
Das LAG Berlin-Brandenburg sah in dem Vergehen einen schwerwiegenden Vertrauensverstoß durch den Arbeitnehmer. Eine Fortbeschäftigung sei dem Arbeitgeber unzumutbar. Es sei für seine Arbeit nicht nötig gewesen, sich die E-Mails auf den privaten Account weiterzuleiten. Denn für die Heimarbeit stand ihm ein dienstlicher Laptop zur Verfügung. Zudem waren die Laptops des Arbeitgebers offenbar mit einer speziellen Sicherheitssoftware ausgestattet, die das Kopieren von Daten auf externe Speichermedien außerhalb des Netzwerkes verhindern sollte.
Gemäß § 241 Abs. 2 BGB ist der Arbeitnehmer als Nebenpflicht auch stets zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen seines Arbeitgebers verpflichtet. Es sei dem Arbeitnehmer daher nicht gestattet, sich ohne Erlaubnis seitens des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen anzueignen. Verstößt er gegen diese Nebenpflicht, kann ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen, der in letzter Konsequenz auch eine fristlose außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.
Auch eine Interessenabwägung und die genauen Umstände des Einzelfalls ergaben, dass der Verstoß im konkreten Fall geeignet war, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Das Gericht war streng: Eine Abmahnung war nach Ansicht der Berliner Richter bei einem solch tiefgreifenden Vertrauensverstoß nicht erforderlich. Denn es bestand eine konkrete Gefährdung für die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers.
Bei einer Abwägung des Interesses des Klägers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses und dem Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung, überwiegt aufgrund der Schwere der Verletzung und der Wiederholungsgefahr das Interesse des Arbeitgebers. Auch der Fakt, dass das Arbeitsverhältnis bereits seit über 10 Jahren ohne negative Vorkommnisse bestanden hatte, stimmte die Richter nicht um.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 6. Juni 2018 die Drei-Jahres-Regel des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundlosen Befristungen gekippt. Viele Befristungen sind damit wahrscheinlich unwirksam.
Eine sachgrundlose Befristung ist nach § 14 Abs. 2 TzBfG nicht zulässig, wenn bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber bestand. Eine feste Grenze, dass eine sachgrundlose Befristung wieder möglich ist, wenn drei Jahre vergangen sind, ist verfassungswidrig. So hat es das BVerfG in seinem Beschluss (Az.: 1 BvL 7/14) entschieden.
Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen soll die Ausnahme darstellen. Das „Normalarbeitsverhältnis“ soll in Vollzeit und unbefristet bestehen. Dieser beschäftigungspolitische Leitsatz ist sicherlich nicht unumstritten, liegt aber der Regelung des § 14 Abs. 2 TzBfG als gesetzgeberisches Ziel zugrunde.
Wenn keine besonderen Sachgründe vorliegen, die eine Befristung rechtfertigen, darf ein befristetes Arbeitsverhältnis nur für die Dauer von – derzeit noch – maximal 24 Monaten abgeschlossen werden. Um Missbrauch zu verhindern, ist eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ausgeschlossen, wenn „mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein […] Arbeitsverhältnis bestanden hat.“
Kettenbefristung, also die Aneinanderreihung immer wieder neuer Arbeitsverhältnisse, sollen so vermieden werden. Bei strenger Lesart bedeutet dies, dass eine sachgrundlose Befristung nicht mehr möglich ist, wenn irgendwann mal, also jemals zuvor, ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Das BAG ging bislang in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass diese Regelung zu weit ging. Die Gefahr der Kettenbefristung bestehe nicht mehr, wenn seit dem letzten Arbeitsverhältnis drei Jahre vergangen sind.
Das BVerfG sah das jetzt anders. Die Karlsruher Richter haben die Drei-Jahres-Regel für verfassungswidrig erklärt. Das Verbot der Zuvorbeschäftigung sei angemessen, um das Ziel zu erreichen, Kettenbefristungen zu verhindern. Das BAG übergehe mit seiner richterlichen Rechtsfortbildung den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers und ersetze diesen durch ein eigenes Regelungsmodell.
Das macht das BAG doch ständig – wird sich mancher jetzt denken. In dieser Sache ist das BAG aber, jedenfalls nach Auffassung des BVerfG, übers Ziel hinausgeschossen. Das BVerfG gestand dem BAG immerhin zu, dass das Vorbeschäftigungsverbot nicht gelten könne, wenn eine Gefahr der Kettenbefristung nicht bestehe. Das könne so sein, wenn das vorherige Arbeitsverhältnis schon sehr lange zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist.
Zu denken ist dabei etwa an Werkstudenten, die nach dem Studium zunächst für einige Jahre bei einem anderen Arbeitgeber arbeiten und dann zu dem Unternehmen zurückkehren, bei dem sie als Werkstudenten gearbeitet haben. Drei Jahre als feste Grenze zu bestimmen, stehe dem BAG aber nicht zu.
Es wird jetzt Aufgabe der Arbeitsgerichte sein, den Ansatz des BVerfG umzusetzen. Es muss ermittelt werden, welche Umstände letztlich dazu führen, dass die Gefahr einer Kettenbefristung im Einzelfall nicht mehr besteht. Das geht mit einer erheblichen Unsicherheit einher.
Für Arbeitgeber, die sich bislang auf die Drei-Jahres-Regel verlassen haben, könnte das unangenehme Folgen haben. Es besteht die Gefahr, dass die Befristung nicht zulässig ist. Man wird dann vor Gericht gut argumentieren müssen, warum das vorherige Arbeitsverhältnis in diesem konkreten Einzelfall nicht mehr zu berücksichtigen sei.
Arbeitnehmer können sich freuen. Eine fehlerhafte Befristung führt letztlich dazu, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Sie müssen zunächst nichts unternehmen. Läuft das befristete Arbeitsverhältnis allerdings aus, müssen sie innerhalb von drei Wochen nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses Klage erheben. Will der Arbeitgeber den Mitarbeiter nicht weiter unbefristet beschäftigen, stehen die Chancen auf eine Abfindung nicht schlecht.
Wer als Pastor in der Kirche arbeitet, sollte wohl der jeweiligen Religionsgemeinschaft angehören. Soweit klar. Bislang galt das auch für viele Arbeitnehmer bei kirchlichen Arbeitgebern, deren Tätigkeit keinen oder nur geringen religiösen Bezug aufweisen. Betroffen sind z. B. Erzieher in der Kita, Lehrer an Schulen, Pfleger in Altenheimen oder auch Verwaltungsmitarbeiter in der Diakonie. Das könnte sich aber jetzt ändern. Der EuGH hatte heute über einen interessanten Fall zu entscheiden, der weitreichende Folgen haben könnte.
Mit Urteil vom 17. April 2018 hat der EuGH entschieden, dass kirchliche Arbeitgeber als Bewerbungsvoraussetzung nicht zwangsläufig die Kirchenmitgliedschaft verlangen dürfen (Az.: C-414/16). Die Entscheidung kann weitreichende Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt, denn die Kirchen und kirchlichen Werke zählen hier zu Lande zu den größten Arbeitgebern. Die Konfession darf nach Ansicht der Richter nur dann verlangt werden, wenn der spätere Beruf mit dem Glaubensleitbild in Verbindung steht. Ist das nicht der Fall und wird von Bewerbern dennoch die Religionszugehörigkeit verlangt, kann dem Bewerber ein Anspruch auf Entschädigung zustehen.
Hintergrund der Entscheidung war der Fall einer konfessionslosen Bewerberin aus Berlin, Vera Egenberger. Sie hatte sich 2012 beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben. Die Ausschreibung richtete sich ausdrücklich an Mitglieder der evangelischen Kirche. Inhaltlich ging es um ein Projekt im Bereich der Rassismusforschung. Es sollte ein Bericht zu einer Konvention der Vereinten Nationen zum Thema Rassismus erstellt werden. Frau Egenberger wurde abgelehnt, obwohl sie wohl von ihrer Qualifikation und Erfahrung sehr gut zu der Stelle gepasst hätte. Zu einem Vorstellungsgespräch war sie gar nicht erst eingeladen worden. Sie klagte sodann wegen religiöser Diskriminierung und forderte eine Entschädigung von knapp 10.000 €. Die Einrichtung hingegen berief sich auf das vom Grundgesetz geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen.
Der Fall ging zunächst vor den deutschen Gerichten durch die Instanzen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war der Auffassung, für die Entscheidung sei nicht nur das Grundgesetz maßgeblich, sondern insbesondere auch die Europäischen Grundlagen und Gesetze. Daher stellte das BAG eine Anfrage nach Luxemburg, um die einschlägigen EU-Richtlinien, namentlich die Antidiskriminierungsrichtlinie, auslegen zu lassen.
Nach den EU-Regelungen darf eine kirchliche Organisation von ihren Mitarbeitern und Bewerbern verlangen, dass sie bestimmte religionsbezogene Anforderungen erfüllen. Davon ist auch die Mitgliedschaft in der jeweiligen Religionsgemeinschaft erfasst. Das gilt aber auch nach der Europäischen Regelung nicht unbegrenzt. Derlei Anforderungen sind nur zulässig, wenn sie mit der Religion oder Weltanschauung im Zusammenhang steht. Erforderlich ist danach, dass die Religion oder Weltanschauung nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt“.
Wie die drei Kriterien „wesentlich“, „rechtmäßig“ und „gerechtfertigt“ auszulegen sind, sollte der EuGH jetzt ermitteln. Frau Egenberger war der Ansicht, dass der Glaube für die Stelle gar keine Rolle spielte. Die Tätigkeit, einen Bericht über die Antirassismuskonvention zu erstellen, sei nicht zwingend mit dem Glauben verbunden – auch wenn sie dies für die Diakonie tuen sollte.
Der EuGH stellt nunmehr fest, dass zwischen dem Recht auf Autonomie der Kirchen einerseits und dem Recht der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, abzuwägen sei. Nur so könne ein angemessener Ausgleich hergestellt werden. Nach Auffassung des Gerichtshofs müsse eine solche Abwägung im Fall eines Rechtsstreits von einer unabhängigen Stelle und letztlich von einem innerstaatlichen Gericht überprüft werden können.
Eine Stellenausschreibung darf nach der Auffassung der Luxemburger Richter nur dann mit einer bestimmten Religion verknüpft werden, wenn das mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht. Die Anforderung muss also angemessen sein und darf nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen.Ob das so ist, entscheidet aber nicht der EuGH, sondern die nationalen Gerichte. Es bleibt also abzuwarten, wie das BAG die Sache jetzt bewertet.
Wir werden beobachten, wie sich vor dem Hintergrund dieser Entscheidung die Rechtsprechung in Deutschland entwickeln wir. Bewerber bei kirchlichen Arbeitgebern können unter Umständen mit Entschädigungen rechnen, wenn sie abgelehnt werden, weil sie nicht die geforderte Konfession haben.
Dürfen Arbeitgeber überwachen, welche Internetseiten ihre Mitarbeiter auf ihrem dienstlichen Rechner besuchen? Nach deutschem Recht geht das jedenfalls nur in sehr engen Grenzen. Fest steht, dass versteckte Spähprogramme grundsätzlich nicht eingesetzt werden dürfen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sah das in einem aktuellen Fall ähnlich und beruft sich auf die einschlägigen datenschutzrechtlichen Grenzen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Was war passiert? Ein Vertriebsingenieur war bei einem privaten Arbeitgeber in Rumänien beschäftigt. Im Rahmen seines Beschäftigtenverhältnisses nutzte er auf Veranlassung seines Arbeitgebers hin einen Yahoo-Messenger-Account. Darüber sollte er ausschließlich direkte Anfragen von Kunden abwickeln. Jedoch nutzte der rumänische Arbeitgeber den Account auch, um mit seinem Bruder und seiner Verlobten zu „chatten“. Und dies, obwohl zuvor eine private Nutzung ausdrücklich vom Arbeitgeber untersagt wurde.
Nachdem der Arbeitgeber von der privaten Nutzung erfuhr, kündigte er das Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer wehrte sich und bestritt, den Messenger privat genutzt zu haben. Der Arbeitgeber legte daraufhin ein 45-seitiges Chatprotokoll der privaten Kommunikation von nur einer einzigen Woche vor. Brisant: Die Abschrift enthielt unter anderem besonders geschützte personenbezogene Daten des Arbeitnehmers (vgl. Art. 9 DS-GVO).
Das wollte dieser nicht hinnehmen und wehrte sich mit einer Klage. Er war der Ansicht, der Arbeitgeber habe die Kommunikation gar nicht überwachen und auswerten, erst recht keine Kündigung darauf stützen dürfen. Die Klage blieb allerdings vor den nationalen rumänischen Gerichten ohne Erfolg.
Die 17-köpfige große Kammer des EGMR war damit nicht einverstanden. Sie sah in der Überwachung eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz (Art. 8 EMRK). Der EGMR hatte das Interesse des Arbeitgebers an einer Überwachung und das Interesse des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privatlebens gegeneinander abzuwägen. In seiner Entscheidung nennt der EGMR eine Reihe von Kriterien, die im Rahmen dieser Abwägung zu berücksichtigen seien.
So rügt der Gerichtshof insbesondere, dass die nationalen rumänischen Gerichte nicht geprüft hätten, ob der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber über die Möglichkeit und die Art einer Überwachung, sowie deren Ausmaß informiert wurde. Auch hatten die Gerichte es bislang versäumt zu klären, ob die Überwachung auf einem gerechtfertigten Grund beruhte oder nicht. Ferner sei nach Ansicht der Straßburger Richter von den vorherigen Gerichten eine mildere Überwachungsmethode nicht in Betracht gezogen worden.
Im Rahmen dieser Vorgaben hätten bereits die nationalen Gerichte die Schwere des Eingriffs in Art. 8 EMRK und die Konsequenz der Überwachung – hier die Kündigung – bewerten und berücksichtigen müssen. Da sie das nicht taten, sprach der EGMR dem Arbeitgeber nun eine Entschädigung in Höhe von 1.365 EUR zu.
Das Urteil gilt direkt nur für den konkreten Fall. Nationale Gerichte sind nicht unmittelbar an die Rechtsprechung des EGMR gebunden. Allerdings werden sie sich voraussichtlich daran orientieren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass auch die Bundesrepublik Deutschland Entschädigungen bezahlen muss.
Immer mehr Arbeitnehmer arbeiten digital vernetzt. Das bietet dem Arbeitgeber fast grenzenlose Möglichkeiten, die Mitarbeiter zu kontrollieren. In gewissem Rahmen ist das auch erforderlich. Andernfalls könnten sie gar nicht überprüfen, ob die Arbeitnehmer ihre vertraglich geschuldete Leistung erbringen. Allerdings müssen der Überwachung Grenzen gesetzt werden, weil es eben immer auch um persönliche Informationen von Menschen geht. Die Grenzen sind noch lange nicht definiert und werden sich wahrscheinlich immer wieder verschieben.
Die Streitfrage bietet viel Stoff für eine umfangreiche rechtliche Diskussion. Für die gerichtliche Praxis bedeutet das, dass es stets von den Umständen des Einzelfalls abhängt, wie weit die Überwachung eingeschränkt werden muss. Leider wird sich in vielen Fällen nicht sicher voraussagen lassen, wie eine Gerichtsentscheidung ausfallen wird. Hier hilft nur professioneller Rat und viel Erfahrung.
Der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht haben für Mitarbeiter kirchlicher Arbeitgeber wichtige Entscheidungen getroffen.
Das Tragen von Gelnägeln am Arbeitsplatz kann vom Arbeitgeber mit entsprechender Begründung untersagt werden.
Gleichberechtigung für Teilzeitkräfte: Zahlt ein Unternehmen Überstundenzuschläge, muss es das auch bei Teilzeitkräften tun – ab der ersten Überstunde.
Können Arbeitnehmer nach der Elternzeit eigentlich verlangen, auf ihrer alten Stelle eingesetzt zu werden? Wir erklären, worauf es ankommt.
EuGH: Nationale Gerichte müssen überprüfen, ob Anforderungen kirchlicher Arbeitgeber wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sind.
Die Verwertung eines Zufallsfundes aus einer gerechtfertigten verdeckten Videoüberwachung kann nach § 32 BDSG zulässig sein.
LAG Berlin-Brandenburg: Leitet ein Arbeitnehmer betriebliche Unterlagen an seine private E-Mail-Adresse weiter, so droht ihm die außerordentliche Kündigung.
BVerfG: Drei-Jahres Regel des Bundesarbeitsgerichts bei sachgrundloser Befristung unzulässig. Viele Arbeitnehmer haben Grund zur Freude.
EuGH: Kirchliche Arbeitgeber dürfen nur in bestimmten Fällen verlangen, dass Bewerber Mitglied in der jeweiligen Religionsgemeinschaft sind.
EGMR: Nutzt ein Arbeitnehmer das Internet am Arbeitsplatz für private Zwecke, so darf der Arbeitgeber diese Nutzung nur begrenzt überwachen.
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