Eine Entsendung im Sinne der Richtlinie 96/71/EG liegt nach Auffassung des EuGH nur vor, wenn die Arbeitsleistung einen Bezug zum Empfangsstaat aufweist, also zu dem Land, in dem ein bei einem ausländischen Arbeitgeber angestellter Arbeitnehmer tätig wird. Das hat weitreichende Auswirkungen auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, die auf ein Arbeitsverhältnis und auf die arbeitgeberseitigen Pflichten einwirken.
Die EU Entsende-Richtlinie regelt einerseits die Umsetzung und Durchsetzung der wichtigsten Grundsätze des EU-Binnenmarkts (Arbeitnehmer-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit). Das europäische Recht soll es Unternehmen ermöglichen, ihre Mitarbeiter auch in anderen Mitgliedstaaten einzusetzen. Andererseits soll sie gleiche Bedingungen für die Unternehmen in allen Mitgliedstaaten schaffen und die Achtung von Arbeitnehmerrechten gewährleisten. Es soll Lohndumping verhindert werden, der dadurch entstehen kann, dass ausländische Arbeitnehmer zu wesentlichen schlechteren Konditionen beschäftigt werden, als die Arbeitnehmer des jeweiligen Mitgliedsstaats. Deshalb sieht die EU Entsende-Richtlinie vor, dass bestimmte zwingende nationale Gesetze auch einzuhalten sind, wenn ausländische Arbeitnehmer in dem jeweiligen Mitgliedstaat beschäftigt werden. Ausländische Arbeitgeber müssen beispielsweise im Vorhinein eine Meldung an den Aufnahmestaat machen und Unterlagen zu Sozialversicherung, Arbeitsvertrag und Lohnzahlungsnachweisen am Einsatzort bereithalten. Werden Verstöße gegen diese Verpflichtungen bekannt, können Verwaltungsstrafen verhängt werden.
Das Vorliegen einer Entsendung ist gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie die Grundvoraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie. Wenn ein Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat (Entsendestaat) Arbeitnehmer zur Erbringung von Dienstleistungen in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (Aufnahmestaat) entsendet, so muss es das zur Umsetzung der Richtlinie erlassene nationale Recht beachten. Die Frage, ob im konkreten Fall eine Entsendung vorliegt, spielt somit für die Unternehmen eine große Rolle.
Die nun vom EuGH entschiedenen Fragen wurden diesem vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Dieser hatte über eine Klage von Michael Dobersberger, den Geschäftsführer einer in Österreich ansässigen Gesellschaft, zu entscheiden. Gegen ihn waren Verwaltungsstrafen wegen Verstößen gegen das Gesetz verhängt worden, mit dem die Entsende-Richtlinie in österreichisches Recht umgesetzt worden war (AVRAG – Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz).
Die österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) hatten einen Dienstleistungsvertrag für Bordservice und Bewirtschaftung der Zugrestaurants mit einer GmbH in Österreich geschlossen. Diese wiederum setzte über eine Reihe von Subaufträgen über die Gesellschaft des Klägers (Dobersberger) eine (dritte) Gesellschaft mit Sitz in Ungarn ein. Die Dienstleistungen wurden also durch die letzte Gesellschaft in der Kette mittels in Ungarn wohnhafter Arbeitskräfte durchgeführt. Diese Arbeitnehmer/innen waren teils unmittelbar bei der Gesellschaft beschäftigt, teils von einem anderen ungarischen Unternehmen an die Gesellschaft überlassen worden.
Die Züge der ÖBB, in denen die Dienstleistungen erbracht wurden, fuhren jeweils von Salzburg oder München nach Budapest. Die ungarischen Arbeitskräfte waren also bei jeder Fahrt zeitweise auch in einem anderen Mitgliedstaat tätig. Sie waren jedoch in Ungarn sozialversichert und hatten ihren Dienst immer dort anzutreten und zu beenden. Auch das Beladen der Züge und die Kontrollen des Warenstands wurden immer in Budapest durchgeführt. Einzig und allein die während der Fahrt zu erbringenden Dienstleistungen wurden auch auf österreichischem und deutschem Staatsgebiet erbracht.
Bei einer Kontrolle am Wiener Hauptbahnhof wurde der Kläger für schuldig erkannt, weil die von ihm geführte Gesellschaft als Arbeitgeberin den aufgrund der Entsendung ungarischer Arbeitskräfte bestehenden Pflichten nicht nachgekommen sei. Der EuGH hatte deshalb nun zu klären, ob in einem solchen Fall tatsächlich von einer Entsendung im Sinne der Richtlinie die Rede sein kann.
Der EuGH hat nun entschieden, dass in diesem Fall keine Entsendung im Sinne der Richtlinie vorliegt. Es handele sich zwar grundsätzlich um Dienstleistungen, die dem Begriff in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie unterfallen, sodass die Anwendbarkeit der Richtlinie nicht ausgeschlossen sei. Allerdings sei zusätzlich auch immer eine hinreichende Verbindung der konkreten Arbeitsleistung zu dem Hoheitsgebiet des Empfangsstaates erforderlich, damit die erbrachten Leistungen von der Entsende-Richtlinie erfasst sind. An dieser Verbindung fehlte es laut EuGH, weil die ungarischen Arbeitnehmer/innen alle Tätigkeiten bis auf den Bordservice im Sitzmitgliedstaat des Unternehmens erbracht haben, bei dem sie angestellt waren. Dass diese Dienstleistungen auf der Grundlage eines Vertrags mit einer österreichischen Gesellschaft ausgeführt wurden, spielt laut EuGH keine Rolle.
Begründet wird diese Rechtsprechung folgendermaßen: In Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 wird definiert, wer eigentliche als entsandter Arbeitnehmer anzusehen ist. Danach
„gilt als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet”.
Mit Blick auf die Systematik der Richtlinie müsse diese Definition so (restriktiv) ausgelegt werden, dass jedenfalls eine Verbindung der Arbeitsleistung zu dem Hoheitsgebiet des Empfangsstaates vorliegen müsse. Darauf weise insbesondere Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie hin. Dieser sieht nämlich vor, dass bei Leistungen mit sehr beschränktem Umfang die Bestimmungen der Richtlinie über Mindestlohnsätze und bezahlten Mindestjahresurlaub keine Anwendung finden. Daraus könne der Schluss gezogen werden, dass auch für den Begriff der Entsendung eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten werden müsse. Außerdem sprechen laut EuGH die Ausnahmeregelungen in Art. 3 Abs. 3 und 4 der Richtlinie für eine eher enge Definition des Anwendungsbereiches.
Teilweise bestand vor der Veröffentlichung des EuGH-Urteils die Hoffnung, dass der Gerichtshof auch Vorgaben für die Anwendung der Entsende-Richtlinie auf andere Dienstleistungen im internationalen Verkehr machen würde, also nicht nur für den Zugverkehr. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der EuGH hat lediglich definiert, dass nicht nur reine Beförderungshandlungen unter den Begriff der „Verkehrsdienstleistungen” im Sinne der Richtlinie fallen, sondern auch solche Handlungen, die (wie z. B. der Bordservice) naturgemäß mit der Beförderung verbunden sind. Eine verbindliche Klärung, mit der jeder Grenzfall eindeutig eingeordnet werden könnte, wurde damit jedoch nicht geschaffen.
Arbeitgeber sollten deshalb auch in Zukunft am besten vor einem Einsatz ihrer Arbeitnehmer im EU-Ausland immer prüfen, ob dieser eventuell der Entsende-Richtlinie unterfällt.
Das europäische Recht und somit auch dessen Konkretisierung durch den EuGH muss in allen Mitgliedstaaten möglichst effektiv umgesetzt werden („effet utile”). Folglich muss jeder EU-Staat seine nationalen Regelungen zur Umsetzung der Richtlinie nun daraufhin überprüfen, ob sie mit dieser aktuellen Rechtsprechung vereinbar sind oder einer Änderung bedürfen. Eventuell müssen bestimmte Tätigkeiten, die bisher zum Teil in den Entsenderegeln enthalten waren, nun ausgenommen werden.
In Deutschland befindet sich der Gesetzgeber aktuell sowieso in der Umsetzung der 2018 in Kraft getretenen Änderung der Richtlinie 96/71. Die aktuelle Rechtsprechung sollte also in den kommenden Umsetzungsgesetzen schon integriert sein.
Mit diesem Urteil hat der EuGH also ein Stückchen mehr Rechtssicherheit geschaffen. Jedenfalls im Zugverkehr können Unternehmen damit in Zukunft unnötigen Bürokratieaufwand vermeiden, ohne das Risiko einer Bestrafung einzugehen. Hinsichtlich der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf andere Dienstleistungen sind jedoch noch viele Fragen offen. Mit Blick auf den dargelegten Sinn und Zweck der Richtlinie wäre es wohl sinnvoll, deren Anwendungsbereich auf EU-Ebene noch näher zu konkretisieren. So könnte verhindert werden, dass der Arbeitnehmerschutz unter einem zu engen Verständnis der Anwendbarkeit leidet oder die Freiheiten des Binnenmarktes durch eine zu extensive Auslegung stark eingeschränkt werden.
Das Unternehmen Ceconomy betreibt die bekannten Elektronikmärkte Mediamarkt und Saturn. Seit wenigen Tagen hat das Unternehmen eine neue Spitze. Bernhard Düttmann, bislang im Aufsichtsrat tätig, führt die Geschicke von nun an als Vorstandsvorsitzender. Zunächst allerdings nur kommissarisch. Gleich zu Beginn seiner Arbeit kündigte Düttmann an, dass er einige Veränderungen anstoßen und zusammen mit dem operativen Führungsteam umsetzen wolle. Hierzu zähle auch der Umbau und die Neuausrichtung der Verkaufsfilialen. Man wolle kleinere Filialen haben, das Sortiment werde angepasst. Das passe besser zum Konzept und sei zukunftsfähiger.
Für die Kölner Filiale am Hansaring führt das ganz unmittelbar zu sehr greifbaren Veränderungen. Wie heute bekannt wurde, wird in der riesigen Filiale ca. ein Drittel der Belegschaft bis Jahresende eine Kündigung erhalten. 57 Mitarbeiter seien betroffen. Zeitungsberichten zufolge sei aber noch nicht bekannt, wen es genau treffen werde.
Hierauf wollen wir einen ersten Blick aus arbeitsrechtlicher Sicht werfen: Ceconomy als Arbeitgeber kann den 57 Mitarbeitern nur dann eine wirksame Kündigung aussprechen, wenn es hierfür einen Kündigungsgrund gibt, der ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Ob die vorliegen werden, lässt sich anhand der aus der Presse bekannten Informationen natürlich bestenfalls mutmaßen. Die Hürden sind aber hoch, die der Arbeitgeber hier überspringen muss. Passieren Fehler, könnten die Kündigungen unwirksam sein.
Ceconomy wird die Kündigungen auf betriebsbedingte Gründe stützen. Dann muss es eine Organisationsentscheidung geben, die dazu führt, dass der Beschäftigungsbedarf für die 57 Mitarbeiter spätestens zum Ende der Kündigungsfrist wegfallen wird. Auf den ersten Blick scheint das kein Problem zu sein, weil Ceconomy ja angekündigt hat, die Filialen verändern, vor allem verkleinern zu wollen. Auf den zweiten Blick verbergen sich hier aber eine Menge Fallstricke. Alleine der Umstand, dass man künftig auf kleinere Filialen setzen will, lässt noch keine Arbeitsplätze wegfallen. Hierfür braucht es mehr. Der Arbeitgeber muss erklären, wie er die Arbeit künftig organisieren wird und welche konkreten Maßnahmen dazu führen werden, dass er weniger Personal benötigt als vorher.
Das bedarf einer guten Planung und viel Zeit an Vorbereitung, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. In unserer täglichen Arbeit erleben wir manchmal, dass hier vorschnell Entscheidungen getroffen und verkündet werden. Das Szenario hier: Ein neuer Chef kommt und noch im selben Monat sollen knapp 60 Kündigungen ausgesprochen werden. Bei diesen Eckpunkte spitzt der Arbeitsrechtler schnell die Ohren. Was genau ist da beschlossen worden? Wie genau soll das umgesetzt werden? Bis wann fallen wie viele Stellen wirklich weg? Möglicherweise hat sich Saturn, bzw. Ceconomy diese Fragen alle im Vorfeld der Entscheidung genau überlegt. Möglicherweise ist das aber auch der berühmte Mut zur Lücke.
Ist geklärt, dass die Stellen tatsächlich wegfallen, muss weiter geprüft werden, wem genau gekündigt werden kann. Es muss denjenigen treffen, der am wenigsten schutzbedürftig ist. Maßgeblich sind die Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung. Der Arbeitgeber muss alle diese Kriterien der Mitarbeiter ermitteln und abwägen. Hier passieren ebenfalls schnell mal Fehler. Wird die falsche Person ausgewählt, ist die Kündigung unwirksam.
Schließlich muss der Arbeitgeber genau prüfen, ob es nicht irgendwo im Unternehmen andere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, auf denen die betroffenen Mitarbeiter eingesetzt werden können. Das kann auch an einem anderen Standort und zum Teil sogar zu deutlich schlechteren Konditionen sein. Gibt es eine andere Stelle, muss die angeboten werden. Wird sie nicht angeboten, ist die Kündigung unwirksam.
Bei Entlassungen dieser Größenordnung liegt zudem wahrscheinlich eine sogenannte Massenentlassung vor. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung noch die Behörden einbinden muss. Ein weiterer Schritt, der etwas planerischen Aufwandes bedarf. Ggf. ist ein Betriebsrat einzubinden, wenn es einen gibt.
Für die Mitarbeiter bei Saturn lohnt es sich deshalb, die Kündigungen genau unter die Lupe nehmen zu lassen. Der Fall scheint noch interessant zu werden. Die Praxis lehrt, dass in vielen Fällen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz retten oder zumindest eine Abfindung aushandeln können. Gerade, wenn der Arbeitgeber mit viel medialer Aufmerksamkeit und großen Worten einen einschneidenden Umbau des Unternehmens ankündigt, der sich aber später als doch nicht so einfach entpuppt, stehen die Chancen ganz gut.
Gerne können Sie mit uns Kontakt aufnehmen, wenn Sie betroffen sind oder weiter Informationen hierzu benötigen.
Einer Verwaltungsfachangestellten wurde mit der Begründung gekündigt, dass ihr Lebensgefährte die rechte Szene unterstütze und sie selbst bei ihrer Sicherheitsüberprüfung darüber unzutreffend ausgesagt habe.
Die Angestellte arbeitete als Vorzimmerkraft des Staatssekretärs Jochen Flasbarth im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Im Verlauf eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Lebensgefährten waren bei einer Hausdurchsuchung sowohl zahlreiche Transparente und Flyer als auch NS-Devotionalien gefunden worden. Daraufhin wurde eine fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung ausgesprochen.
Grund für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Potsdam war laut Presseberichten der Anschlag auf einen Flüchtlingstreff der evangelischen Kirche im brandenburgischen Jüterbog im November 2015.
Über die Kündigungsschutzklage der Angestellten wurde am heutigen Tag vor dem Arbeitsgericht Berlin verhandelt. Es konnte bislang keine Einigung erzielt werden. Nun ist abzuwarten, was ein neuer Termin im nächsten Jahr ergeben wird.
Abonnieren Sie unseren Newsletter, um immer auf dem Laufenden zu bleiben!
Der Mann arbeitete rund 13 Jahre für die Entsorgungsgesellschaft bis er im April 2019 entlassen wurde. Er war mit dem Rückbau des früheren Versuchsreaktors befasst und wurde deshalb regelmäßig auf seine Zuverlässigkeit hin überprüft. Das ist Routine bei Personen, die im atomaren Sicherheitsbereich beschäftigt sind.
Im vorliegenden Fall geriet der Mitarbeiter dadurch ins Visier der Behörden, dass er sich beim Kreis Düren einen Staatsangehörigkeitsausweis ausstellen ließ. Diesen auch als „Gelber Schein” bezeichneten Ausweis braucht ein Normalbürger normalerweise nicht. Er wird nur benötigt, wenn eine Behörde Zweifel an der deutschen Staatsangehörigkeit eines Bürgers hat.
Für viele Reichsbürger ist der Gelbe Schein jedoch das einzige amtliche Dokument, welches auch als solches akzeptiert wird. Sie sind in der ein oder anderen Auslegungsvariante davon überzeugt, dass der Bundesrepublik Deutschland der Status als legitimer und souveräner Staat fehle. Als Folge lehnen sie die Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ab. Laut Verfassungsschutz ist die Reichsbürger-Szene als staatsfeindlich zu qualifizieren.
Dem Ex-Mitarbeiter der Jülicher Atomanlage wurde schließlich nach Überprüfung seines Falls wegen des Verdachts, Reichsbürger zu sein, durch das Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen die atomrechtliche Zuverlässigkeit abgesprochen. Dies gab dann den Anlass zur Entlassung. Neben der Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises hatte der Mann unter anderem auf seiner Facebook-Seite Kommentare veröffentlicht, die Anlass für genauere Überprüfungen waren.
Nun bestreitet er vor Gericht die Vorwürfe und behauptet, kein Reichsbürger zu sein. Er habe die laut den Behörden brisanten Facebook-Veröffentlichungen bereits gelöscht. Bei allen weiteren Kommentaren, die sich noch im Netz befinden, habe er lediglich Gebrauch von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 Grundgesetz gemacht.
Ob die Richter dem Kläger insoweit zustimmen und die Kündigung als rechtswidrig ansehen werden, bleibt abzuwarten.
Welche Grenzen bei internen Untersuchungen zur Aufklärung von Vertragsverletzungen zu beachten sind, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem bislang kaum beachteten Urteil vom 31.01.2019 (2 AZR 426/18) zusammengefasst.
Arbeitgeber können in die Verlegenheit kommen, eine interne Untersuchung durchführen zu müssen, wenn sie Hinweise auf vertragswidriges Verhalten eines oder mehrerer Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen haben. Die Hinweise können aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen. Häufig erfährt der Arbeitgeber über andere Kollegen von einem Verdacht, es treten Auffälligkeiten bei der Zeiterfassung auf oder es kommt zu einem Fehlbetrag in der Kasse, um nur ein paar der möglichen Szenarien zu nennen, die im Betriebsalltag passieren können.
Denkbar ist auch, dass der Arbeitgeber erfährt, dass Mitarbeiter in Ausübung ihrer Arbeit die rechtlichen Pflichten des Unternehmens gegenüber Dritten verletzen oder gegen Gesetze verstoßen. In dem Fall spricht man neuerdings von sogenannten Verbandsstraftaten. Nach aktueller Rechtslage sind die internen Bemühungen des Arbeitgebers zur Aufklärung solcher Fälle aus arbeitsrechtlicher Sicht noch nicht anders zu beurteilen, als Verstöße des Arbeitnehmers gegen Pflichten allein gegenüber dem Arbeitgeber. Das könnte sich künftig ändern, wenn das vom Bundesjustizministerium (BMJV) im August als Referentenentwurf vorgelegte Verbandssanktionengesetz (VerbSanG) verabschiedet werden sollte.
Egal, ob das Verhalten des Arbeitnehmers „nur“ dessen Pflichten gegenüber dem Arbeitgeber verletzt oder gleichzeitig die Pflichten des Unternehmens gegenüber Dritten oder dem Gesetz: In den seltensten Fällen ist die Sache sofort so klar, dass der Arbeitgeber sicher gehen kann, den Sachverhalt vollständig erfasst und aufgeklärt zu haben. Häufig bleibt das Geschehen im Detail unklar und bis auf einen mehr oder weniger manifesten Verdacht, hat der Arbeitgeber nicht viel in der Hand. Das führt zu einer erheblichen Gefahr, wenn der Arbeitgeber das Verhalten des oder der Mitarbeiter sanktionieren will.
Eine Kündigung, die auf einen halbherzig ausermittelten Sachverhalt gestützt wird, kann spätestens im Kündigungsschutzprozess zu unerwünschten Überraschungen führen. Lässt sich der Vorwurf nicht beweisen und hat der Arbeitgeber keine ausreichenden Ermittlungen angestellt, wird die Kündigung wahrscheinlich vor Gericht nicht standhalten und der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer nach einem langen Prozess zurücknehmen oder seine Versäumnisse in Gestalt teurer Abfindungszahlungen empfindlich bezahlen.
Um dem vorzubeugen, sollte der Arbeitgeber einigen Aufwand betreiben, den Sachverhalt aufzuklären, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. Ist danach aus Sicht des Arbeitgebers der Fall klar und das Verhalten bewiesen, kann eine Kündigung ausgesprochen werden. Auch wenn sich der Fall nicht vollständig aufklären lässt aber ein schwerwiegender Verdacht bestehen bleibt, kann der Arbeitgeber unter Umständen eine Kündigung aussprechen. Man spricht dann von einer Verdachtskündigung.
Bei den Bemühungen, den Sachverhalt aufzuklären, darf allerdings nicht vergessen werden, dass der Arbeitgeber als private Stelle andere Befugnisse hat, als die öffentliche Hand, z. B. die Staatsanwaltschaft. In der Praxis stellt sich deshalb regelmäßig die Frage, was der Arbeitgeber unternehmen darf, um einen Sachverhalt aufzuklären und wovon er lieber die Finger lassen sollte.
Hierzu hat das BAG in seiner Entscheidung einige Hilfestellungen erarbeitet, die wir im Folgenden erläutern wollen. Das BAG befasste sich vor allem mit der konkreten Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber auf die Dateien auf einem Dienstrechner zugreifen und diese verwerten darf. Die Grundsätze, die das BAG in dem Zusammenhang aufstellte, lassen sich auch auf andere Formen der Untersuchung übertragen.
In dem Fall, den das BAG zu entscheiden hatte, bestand der Verdacht, dass ein Arbeitnehmer sensible Daten an Dritte weitergegeben haben könnte. Das wäre wegen der Treue- und Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers nicht zulässig und kann – je nach Lage des Einzelfalls – eine Kündigung durchaus rechtfertigen. Der Arbeitgeber ließ daraufhin den Dienstlaptop des Mitarbeiters nach vorheriger Ankündigung untersuchen. Informationen, die den eigentlichen Verdacht stützten, fand man nicht. Bei der Untersuchung stieß man aber zufällig auf völlig andere Informationen, die mindestens genauso brisant waren: In den Dateien fand man Hinweise, dass der Arbeitnehmer systematisch Tankbetrug betrieben haben könnte. Der Arbeitgeber sprach deshalb die Kündigung aus.
Natürlich darf der Arbeitgeber nicht uneingeschränkt Daten erheben und Untersuchungen anstellen. Hierfür müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Die Ermittlungen müssen sich im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen. Dabei spielen vor allem datenschutzrechtliche Beschränkungen eine Rolle. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass eine Untersuchung nicht unverhältnismäßig sein darf. Im Ergebnis unterscheidet das BAG danach, wie intensiv die Maßnahme in die Rechte des Betroffenen eingreift.
Die Entscheidung des BAG erging noch zu dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in seiner alten Fassung. Die Grundsätze, die das BAG aufgestellt hat, lassen sich aber ohne weiteres auch auf die aktuelle Rechtslage nach Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) übertragen.
Das BAG stellt klar, dass der Arbeitgeber unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich „alle Daten speichern und verwenden darf, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Kündigungsschutzprozess zu erfüllen“.
Das Gesetz regelt nämlich inzwischen in § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG, dass personenbezogene Daten eines Beschäftigten unter anderem dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden dürfen, wenn dies für die Durchführung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Dabei fällt unter den Begriff der „Durchführung” laut BAG auch die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt. Unter der „Beendigung” eines Arbeitsverhältnisses wird nicht nur dessen Abwicklung verstanden, sondern auch die Vorbereitung einer Kündigung. Hierauf, bzw. auf die bis Mai 2018 geltende ähnlich gestaltete Regelung, stützt sich das BAG in seiner Entscheidung.
In einem Kündigungsschutzverfahren muss der Arbeitgeber beweisen, dass der Arbeitnehmer gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen hat. Das kann er nur, wenn er einige Anstrengungen unternimmt, um den Sachverhalt aufzuklären. Das rechtfertigt es, dass der Arbeitgeber Untersuchungen vornehmen darf, um vom Arbeitnehmer begangene Pflichtverletzungen aufzudecken, die eine Kündigung rechtfertigen könnten.
Das rechtfertigt aber noch nicht jede beliebige Maßnahme des Arbeitgebers. Die Untersuchung muss geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der Rechte des Arbeitnehmers angemessen sein, um den Sachverhalt aufzuklären.
Dahinter verbirgt sich, etwas verklausuliert, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Mit anderen Worten: Die Untersuchung darf nicht weiter in die Rechte des betroffenen Mitarbeiters eingreifen, als es für die Aufklärung des Sachverhaltes bzw. die Vorbereitung der Kündigung wirklich erforderlich ist.
Arbeitgeber müssen immer das mildeste ihnen zur Verfügung stehende Mittel wählen, um die gewünschten Erkenntnisse zu erlangen. Neben der durchgeführten Untersuchungsmaßnahme dürfen also keine anderen Mittel zur Verfügung stehen, die genauso wirksam wären, das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz) des Arbeitnehmers aber weniger einschränken würden. Die Intensität des Eingriffs in die Privatsphäre des Arbeitnehmers darf letztlich nicht außer Verhältnis zum Informationsinteresse des Arbeitgebers stehen.
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist stark vom Einzelfall abhängig und deshalb in der Praxis schwierig zu handhaben. Die Erwartung des Arbeitnehmers, dass gewisse Informationen über seine Person oder sein Verhalten privat sind, ist durch die nationalen und europäischen gesetzlichen Regelungen besonders geschützt. Das BAG misst dieser „berechtigten Privatheitserwartung“ deshalb einen besonderen Stellenwert bei.
Das BAG gibt in seinem Urteil dem Rechtsanwender immerhin ein paar Hilfestellungen an die Hand. Im Ergebnis ist danach zu unterscheiden, wie intensiv die Maßnahme in die Rechte des Betroffenen eingreift.
Stellt eine Untersuchungsmaßnahme des Arbeitgebers einen schweren Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar, so sind grundsätzlich auch höhere Anforderungen an das Informationsinteresse des Arbeitgebers zu stellen. Im Regelfall muss für die Zulässigkeit eines solchen Eingriffs ein durch Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat, zumindest einer schweren Pflichtverletzung, vorliegen (vgl. § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG). Der Arbeitgeber darf keine Maßnahmen „ins Blaue hinein” durchführen.
Klassische Beispiele für besonders eingriffsintensive Maßnahme sind die verdeckte Videoüberwachung, die verdeckte Observation durch einen Detektiv sowie der Einsatz sogenannter Keylogger, also von Programmen, die jede Eingabe am PC nachvollziehen. Diese Maßnahmen darf der Arbeitgeber nur im Ausnahmefall und unter den genannten engen Voraussetzungen einleiten.
Auf der anderen Seite stellte das BAG auch den Grundsatz auf, dass weniger intensive Ermittlungsmaßnahmen vom Arbeitgeber auch ohne das Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Verdachts einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung durchgeführt werden dürfen. Die daraus gewonnenen Informationen können auch im gerichtlichen Verfahren verwertet werden. Das betrifft vor allem offene Überwachungsmaßnahmen, durch die nicht eine einzelne Person konkret unter Verdacht gestellt wird.
Zu den weniger eingriffsintensiven Maßnahmen zählt auch eine Untersuchung des Dienstrechners eines Mitarbeiters, wenn der Arbeitgeber einen nicht willkürlichen Anlass hierfür hat. Dabei macht es einen Unterschied, wie mit als privat gekennzeichneten oder als solche erkennbaren Daten umgegangen wird. Der Arbeitnehmer sollte auf die anstehende Untersuchung hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben werden, Daten als privat zu kennzeichnen. Werden auch private Daten eingesehen oder die Untersuchung verdeckt oder ohne Vorankündigung durchgeführt, sind die Anforderungen im Zweifel erheblich höher.
Der Arbeitgeber ist auch ohne Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Verdachts einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung berechtigt, die gesamte Festplatte des Dienstrechners für computerforensische Zwecke zu kopieren. Dadurch erhöht sich nach Ansicht des BAG weder die Intensität des Eingriffs noch geht es automatisch mit einem erhöhten Risiko des Missbrauchs der Daten einher.
In jedem Fall muss der Arbeitgeber prüfen, ob es ein milderes Mittel gibt, das genauso gut geeignet ist, den Sachverhalt aufzuklären. Dabei kommt grundsätzlich jede Milderung des Eingriffs in Betracht. Je nach Einzelfall kann man z.B. in Erwägung ziehen, dass der Betriebsrat oder Datenschutzbeauftragte bei der Untersuchung hinzugezogen wird. Das ist allerdings nur dann erforderlich, wenn dadurch die Intensität des Eingriffs abgeschwächt wird, etwa indem die Person die Untersuchung anderweitig abwenden oder zumindest auf die Art und Weise der Untersuchung Einfluss nehmen kann. In dem Fall, den das BAG zu entscheiden hatte, war das nach Ansicht der Richter nicht der Fall.
Die durch Untersuchungsmaßnahmen des Arbeitgebers erlangten Erkenntnisse dürfen jedenfalls dann in einem Kündigungsrechtsstreit verwertet werden, wenn sie vom Arbeitgeber im Einklang mit den einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorschriften (insbesondere § 26 BDSG) erlangt und weiterverwendet wurden. Dies entspricht der inzwischen gefestigten Senatsrechtsprechung am BAG. Das bedeutet aber nicht, dass im Umkehrschluss eine Verwertung der Erkenntnisse im Prozess ausgeschlossen ist, wenn bei der Untersuchung gegen das Datenschutzrecht verstoßen worden sein sollte. Unter Umständen können sogar Erkenntnisse im Prozess verwertet werden, die unter Verletzung datenschutzrechtlicher Vorgaben erlangt worden sind. Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Grundsätzlich dürfen Arbeitgeber Untersuchungen über das Verhalten ihrer Angestellten durchführen. Allerdings müssen sie sich dabei immer an die Regeln des BDSG halten und je nachdem welche Maßnahme sie ergreifen möchten, weitere Voraussetzungen erfüllen. Arbeitgeber sind gut beraten, ihre Ermittlungen genau zu planen und zu dokumentieren. In jedem Fall empfiehlt es sich, die Untersuchungen durch hierauf spezialisierte Experten begleiten zu lassen.
Obacht beim WhatsApp Chat! Die meisten Nutzer von WhatsApp und vergleichbaren Messengerdiensten kennen die vielen montierten Bildchen mit mehr oder minder lustigen Kommentaren. Einmal in Umlauf gebracht, verbreiten sie sich schnell. Je nach Adressat und Inhalt der Nachrichten, können die aber äußerst kritisch werden. Das zeigt wieder einmal ein aktueller Fall, der vor dem Arbeitsgericht Stuttgart (ArbG) vor kurzem verhandelt wurde und dessen Entscheidungsgründe jetzt vorliegen (Az.: 11 Ca 3737/18).
Ein Mitarbeiter schickt einem türkischen Kollegen eben solche Nachrichten und Bilder. Darüber hinaus beleidigt er ihn von Angesicht zu Angesicht mit rassistischen Verbalattacken. Die verschickten Nachrichten – vielleicht von irgendwem mal lustig gemeint – sind ganz unverblümt rassistisch und für den türkischen Adressaten beleidigend. Das Arbeitsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen die Nachrichten ganz anschaulich beschrieben. Hier ein Auszug: Es geht verhältnismäßig harmlos los mit dem Bild einer Tafel Rittersport Marzipan, die statt des richtigen Namens die Bezeichnung Hitlersport Nazipan trägt. Daneben ein Konterfei Hitlers mit den Worten „dafür stehe ich mit meinem Namen“. Weiter geht es mit einem den Hitlergruß zeigenden Schneemann mit entsprechend markanter Frisur und Oberlippenbart. Die Grenzen des guten Geschmacks sind auslegungsfähig aber wahrscheinlich hier schon überschritten.
Spätestens das Bild des Schnellfeuergewehrs mit dem Spruch: „Das schnellste deutsche Asylverfahren lehnt bis zu 1.400 Anträge in der Minute ab“, überschreitet erkennbar die Grenzen – auch die der strafrechtlichen Relevanz.
Der Kollege ließ sich das nicht gefallen und wandte sich an den Arbeitgeber. Der sprach eine fristlose Kündigung aus. Das Arbeitsgericht hat letztlich unter anderem wegen der verschickten Nachrichten die Kündigung für wirksam erachtet. Das obwohl der Arbeitnehmer sich darauf berief, dass der Adressat der Nachrichten diese zunächst ebenfalls als Witz verstanden habe. Immerhin hatte er auf manche der Nachrichten reagiert, indem er Smileys und offenbar pornographische Bilder zurückgeschickt habe. Nach Auffassung des Gerichts eine Schutzbehauptung. Der betroffene Kollege hatte wohl mehrfach zu verstehen gegeben, dass er die Nachrichten nicht wolle. Zudem waren die Beteiligten erkennbar keine Freunde und es gab persönliche Auseinandersetzungen. Selbst danach hörten die Nachrichten nicht auf. Das Gericht glaubte dem Kollegen, der erklärte, er habe mit seinen Reaktionen die Situation herunterspielen wollen, um sich zu schützen.
Die Entscheidung ist alles andere als überraschend. Bemerkenswert ist, wie oft es vorkommt und Gegenstand gerichtlicher Klärung ist, dass Menschen über Messengerdienste oder Chats andere Menschen beleidigen und dabei Grenzen überschreiten, die sie im „richtigen Leben“ so nicht überschreiten würden. Ob das auch hier der Fall ist, lässt sich von außen schwer beurteilen, denn der gekündigte Mitarbeiter war offensichtlich auch offline kein Kind von Traurigkeit. Dennoch sprechen die beschriebenen Bilder und Nachrichten eine Sprache, die den meisten nicht im Angesicht des Gegenübers über die Lippen gegangen wäre.Verpackt in eine bunte WhatsApp Nachricht oder ein montiertes Bild geht das schon leichter. Was mancher dabei vergisst: Ein Witz ist nur so lange ein Witz, wie er vom Erzähler als solcher gemeint und vom Adressaten als solcher verstanden wird. Klaffen die Empfindungshorizonte der beiden Beteiligten auseinander, kann es ganz schnell haarig werden und eine irgendwann mal scherzhaft erstellte WhatsApp Nachricht entfaltet die Sprengkraft einer von Angesicht zu Angesicht ausgesprochenen Beleidigung.
Merke: Auch in privaten Chats kann man sich nicht benehmen, wie die Axt im Walde. Immerhin, aus Sicht des Anwalts, der mit einer solchen Angelegenheit betraut ist, hat das Ganze etwas Gutes. Normalerweise ist es bei Beleidigungen wahnsinnig schwer herauszufinden, was wirklich gesagt wurde. Oft fallen Verbalbeleidigungen in einem Schlagabtausch, voll von Emotionen. Am Ende weiß keiner mehr so genau, wer wann was gesagt und wie gemeint hat. Auf Zeugen ist bekanntlich selten so richtig Verlass. In einem Chatverlauf lässt sich das ganz gut protokollieren und dem Gericht als Beweis vorlegen. Vor dem Hintergrund ist das Verhalten des gekündigten Mitarbeiters in mindestens doppelter Hinsicht nicht besonders schlau gewesen.
Urlaub verfällt grundsätzlich, wenn er nicht rechtzeitig genommen wird. Allerdings muss der Arbeitgeber seine Mitarbeiter auf diese Rechtsfolge rechtzeitig hinweisen. Sonst verfällt der Anspruch eben nicht. Das ist die Botschaft des Urteils des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 19. Februar 2019 (Az.: 9 AZR 541/15), dessen Entscheidungsgründe jetzt vorliegen.
Der Entscheidung liegt die Klage eines Wissenschaftlers gegen die Max-Planck-Gesellschaft München zugrunde. Der Kläger war seit 2001 bei der Gesellschaft angestellt und wollte zum Ende seiner Beschäftigung 51 Urlaubstage ausbezahlt bekommen. Wegen eng getakteter Projektphasen habe er ihn nicht nehmen können und deshalb auch gar nicht erst beantragt. Als der Fall schließlich vor dem BAG landete, rief dieses den Europäischen Gerichtshof (EuGH) aufgrund folgenden Problems an:
Nach § 7 II 1 BUrlG waren die Urlaubsansprüche des Klägers mit Ablauf des Jahres 2013 verfallen, da keine Übertragungsgründe gemäß § 7 III 2 BUrlG vorlagen. Das BAG stellte dem EuGH die Frage, ob Art. 7 I Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 II EU-Grundrechte-Charta dieser nationalen Regelung eventuell entgegenstehen.
Das EuGH-Urteil vom 6. November 2018 (Az.: C-684/16) war natürlich nicht ganz so simpel, sondern weitaus differenzierter. Die Kernaussage lautete jedoch “ja”. Arbeitgeber können nicht durch einfaches “Nichtstun” bewirken, dass am Jahresende noch ausstehende Urlaubsansprüche ihrer Mitarbeiter verfallen. Der Arbeitnehmer muss zumindest in die Lage versetzt worden sein, seine Ansprüche noch vor Jahresende tatsächlich wahrzunehmen.
Nachdem der EuGH sein Urteil gefällt hatte, ging der Fall zurück zum BAG. Es schloss sich – erwartungsgemäß – dem EuGH an und entschied, dass Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer über noch offene Urlaubstage und den anstehenden Verfall informieren müssten. Es begründete seine Entscheidung damit, dass das BUrlG Gesundheitsschutz durch tatsächliche Inanspruchnahme des bezahlten Urlaubs intendiere. Dieser Schutzzweck werde nur gefördert, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über noch bestehenden Urlaub informiere. Dies beinhalte auch eine Aufforderung, den Urlaub tatsächlich zu nehmen und einen Hinweis auf bestehende Fristen für den Verfall von Urlaubsansprüchen.
Ob diese Voraussetzungen in dem zu entscheidenden Fall gegeben waren, war allerdings noch unklar. Das BAG verwies den Fall zurück zum Landesarbeitsgericht München (LAG). Es war nämlich zwischen den Parteien streitig, ob es eine E-Mail der Gesellschaft mit einem Hinweis auf die bestehenden Urlaubsansprüche gegeben hat. Das BAG erklärte als Konkretisierung des EuGH-Urteils das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines solchen Hinweises als für die Beurteilung des Falles entscheidend. Ob eine E-Mail – wenn es eine gegeben hat – ausreichen würde, um der Informationspflicht gerecht zu werden, ist damit noch nicht gesagt. Das wird vermutlich auf den Inhalt der E-Mail ankommen. Der EuGH hatte noch erwähnt, dass die Aufforderung, den Urlaub zu nehmen, erforderlichenfalls förmlich zu erfolgen habe.
Für die Arbeitgeber bedeutet diese Rechtsprechung eine gewisse Umstellung und etwas zusätzliche Arbeit für die Personalabteilungen. Denn die Regelung, dass Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen und gewährt werden muss, damit er nicht zum 31. März des Folgejahres verfällt, galt bisher sogar für Urlaub, der vom Arbeitnehmer rechtzeitig, aber erfolglos angefordert worden war. Arbeitnehmer konnten dann nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen Schadensersatz gerichtet auf die Gewährung von Ersatzurlaub verlangen.
Ab jetzt haben Arbeitgeber folgende Mitwirkungsobliegenheiten:
Sie tragen die Initiativlast. Es muss “klar und rechtzeitig”darauf hingewiesen werden, dass noch Urlaubstage ausstehen. Außerdem muss eine “konkrete Aufforderung”erfolgen, den Urlaub zu nehmen. Zusätzlich müssen Arbeitnehmer umfassend informiert werden, damit “völlige Transparenz”herrscht. Vor allem aber dürfen keine Anreize dafür geschaffen werden, dass Urlaub nicht genommen wird.
War ein Arbeitnehmer in der Lage, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, so sind die Anforderungen an eine “klare”Unterrichtung im Regelfall erfüllt, wenn darauf hingewiesen wird, dass Urlaub grundsätzlich am Jahresende verfällt. Es ist ratsam, diesbezügliche Mitteilungen an den Arbeitnehmer künftig schriftlich zu verfassen und zu archivieren, damit sie im Streitfall den Anforderungen des BAG gerecht werden. Für die Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten trägt nämlich der Arbeitgeber die Beweislast.
Um den Anforderungen an die “völlige Transparenz” gerecht zu werden, reicht es vermutlich nicht aus, die bestehenden Urlaubstage in den monatlichen Abrechnungen auszuweisen, wie es schon jetzt in vielen Unternehmen üblich ist. Auch Angaben im Arbeitsvertrag, einem Merkblatt oder eine Kollektivvereinbarung genügen in der Regel nicht. Die Frage, ob eine individuelle Benachrichtigung jedes einzelnen Mitarbeiters erforderlich ist oder auch eine einheitliche Aufforderung ausreicht, ist bisher noch ungeklärt.
Durch das BAG eindeutig festgestellt wurde nur, dass Arbeitgeber nicht von sich aus Urlaub gewähren müssen, um den Verfall zu verhindern. Dies hatte das LAG zunächst angenommen.
Ob der Arbeitgeber im Einzelfall alles Erforderliche getan hat, um seinen Mitwirkungsobliegenheiten zu genügen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände festzustellen.
Wenn ein Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen hat, wird der nicht verfallene Urlaub des Mitarbeiters zu dem Urlaubsanspruch des neuen Jahres addiert. Dadurch kommt die Frage auf, ob es in Zukunft zur unbegrenzten Anhäufung von Urlaubsansprüchen kommen kann.
Die Antwort ist vom einzelnen Arbeitgeber abhängig. Auch nicht verfallener Urlaub aus weiter zurückliegenden Jahren ist nicht privilegiert. Arbeitgeber können das Anhäufen von Urlaubsansprüchen ganz einfach verhindern, indem sie im folgenden Jahr ihre vorstehend bereits erläuterten Pflichten erfüllen. Dann ist der Arbeitnehmer in diesem Jahr verpflichtet, auch die bereits angehäuften Urlaubstage bis zum Jahresende zu nehmen, damit sie nicht verfallen.
Nicht nur bezüglich der konkreten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitnehmers sind auch nach den Urteilen von EuGH und BAG noch Fragen offen. Eine weitere bedeutende Frage, die sich nun auch viele Arbeitnehmer stellen, ist: Was ist mit vermeintlich verfallenen Ansprüchen aus den Vorjahren. Gelten die neuen Anforderungen auch schon für 2018? Bis wann kann man Urlaubsansprüche nachträglich geltend machen?
Da die Verjährung bisher nicht Gegenstand der Verhandlung war, gibt es zu diesen Fragen noch keine klare Antwort.
Wenn Sie zu diesem und weiteren interessanten Themen aus dem Arbeitsrecht auf dem Laufenden bleiben möchten, abonnieren Sie doch einfach unseren Newsletter!
Prüfen Sie Ihren Posteingang und den Spamordner, um Ihr Abonnement zu bestätigen.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Streitig ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalls bei dem in Heimarbeit tätigen Kläger.
2
Der 19… geborene Kläger zeigte am 30.10.2016 einen Unfall vom 04.11.2014 an, als er auf dem Weg von der Toilette zu seinem Homeoffice-Arbeitsplatz auf der Treppe gestürzt war und eine Jones-Fraktur (Metatarsale-V-Schaftfraktur) des linken Fußes erlitten hatte. Aufgrund einer Erkrankung an Epilepsie sei er zu 100% an seinen Homeoffice-Arbeitsplatz gebunden und könne seine frühere Tätigkeit im Außendienst bei B-GmbH nicht mehr ausführen. Durch eine schwere Weichteil-Entzündung im Operationsfeld habe sich nach der Jones-Fraktur eine Verschmälerung des linken Fußes ergeben. Er sei vom 05.11.2014 bis einschließlich 10.05.2015 arbeitsunfähig bzw. auf einer Reha-Maßnahme gewesen.
3
Im Fragebogen zum Unfallhergang und in einem Schreiben vom 21.12.2016 gab er an, das Homeoffice befände sich im Untergeschoss seines Zweifamilienhauses. Das Untergeschoss sei in zwei Einheiten aufgeteilt, wobei jede Einheit eine eigene Treppe habe. Im Untergeschoss befänden sich sein Büro, das ausschließlich geschäftlich genutzt werde, sowie Kellerräume, ein Waschraum und ein Vorratsraum, die ausschließlich von seiner Frau genützt werden. Auf dem Weg vom WC zurück zu seinem Homeoffice-Arbeitsplatz habe er die letzte Treppenstufe übersehen und sei ins Leere getreten. Er nutze die Treppe nur betrieblich, seine Frau nutze die Treppe noch zu dem Wasch- und Trockenraum. Die Wohn- und Schlafräume befänden sich im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss.
4
Mit Bescheid vom 10.04.2014 wurde der Unfall vom 04.11.2014 nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Ein Toilettengang sei nicht versichert, weil er allgemein auf einem persönlichen Bedürfnis beruhe, das in keiner besonderen Beziehung zum Beschäftigungsverhältnis stehe. Versichert sei der Weg zur Toilette nur auf der Betriebsstätte des Arbeitgebers selbst. Zum Unfallzeitpunkt habe er eine eigenwirtschaftliche und damit nicht versicherte Tätigkeit ausgeübt.
5
Dagegen legte der Kläger am 11.04.2017 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2017 zurückgewiesen wurde.
6
Versicherungsschutz bestehe für einen Toilettengang grundsätzlich nicht. Auf dem Weg zu einem Ort auf der Betriebsstätte selbst, an dem die Notdurft verrichtet werden solle, bestehe Versicherungsschutz, weil der Versicherte durch die Anwesenheit auf der Betriebsstätte gezwungen sei, seine Notdurft an einem anderen Ort zu verrichten. Befänden sich Wohnung und Arbeitsplatz im selben Gebäude, sei der Weg zur Notdurft nicht versichert.
7
Dagegen hatte der Kläger vor dem Sozialgericht München Klage erhoben (S 23 U 328/17). Bei der Rückkehr zu seinem Homeoffice-Arbeitsplatz, auch nach einem Toilettengang, handle es sich um einen Betriebsweg im unmittelbaren Betriebsinteresse. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 31.08.2017 teilte der Kläger mit, neben ihm arbeite auch eine weitere Kollegin dreimal die Woche im Büro. Der Arbeitgeber bezahle Miete für dieses Zimmer, auch die PC-Ausstattung sei komplett vom Arbeitgeber. Häufig fänden in dem Raum auch Treffen mit anderen Personen der Firma statt. Das Büro sei sozusagen der Treffpunkt für die Mitarbeiter der Umgebung, da der Firmensitz in Holland sei. Die Beklagte erklärte sich daraufhin bereit, den Kläger nach Prüfung des Sachverhalts rechtsmittelfähige erneut zu verbescheiden.
8
Auf die Anfrage der Beklagten teilte der Arbeitgeber des Klägers mit, ein Kollege besuche den Kläger regelmäßig seit 2014, ca. 30 Mal im Jahr; der Geschäftsführer besuche ihn zweimal jährlich, seit 2017 auch ein weiterer Kollege zwölfmal jährlich. Dann fänden Besprechungen zu den wirtschaftlichen Entwicklungen des Unternehmens statt. Falls die Räumlichkeiten des Klägers nicht zur Verfügung stünden, würden solche Besprechungen im Café/ beim Bäcker stattfinden. Eine weitere mit Mitarbeiterin arbeite seit November 2016 dreimal wöchentlich in diesem Büro, auch sie nutze den Eingang des Wohnhauses und die private Toilette des Klägers. Die Pauschale in Höhe von 200 € monatlich würde sowohl für die Nutzung des Büroraums als auch für die Kosten von Bürobedarf gezahlt. Telefonisch teilte eine Mitarbeiterin des Arbeitgebers am 30.10.2017 mit, vor 2015 habe auch ein Arbeitsvertrag mit Homeoffice bestanden, allerdings seien damals keine Bürokosten erstattet worden und es seien keine weiteren Kollegen zur Arbeit dort gewesen. Die Treffen mit der Geschäftsführung hätten bereits vor 2015 beim Kläger zuhause stattgefunden.
9
Mit dem streitigen Bescheid vom 25.01.2018 wurde die Rücknahme des einen Arbeitsunfall verneinenden Bescheids vom 10.04.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2017 abgelehnt. Aus den vom Arbeitgeber vorgebrachten Tatsachen über die Bezahlung und die weitere Nutzung des Homeoffice-Arbeitsplatzes ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Neufeststellung bedingen könnten.
10
Der dagegen am 17.02.2018 eingelegte Widerspruch des Klägers, wonach er auf sein Homeoffice angewiesen und nur deshalb in der Lage sei, weiterhin am ersten Arbeitsmarkt teilzuhaben, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2018 zurückgewiesen. Aus den Vorschriften des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX), welche den Erhalt oder die Gestaltung von Arbeitsplätzen für schwer behinderte Menschen regeln, lasse sich keine abweichende Beurteilung der Rechtsprechung für den Versicherungsschutz auf Betriebswegen im häuslichen Bereich ableiten.
11
Dagegen richtet sich die vorliegende Klage vom 14.05.2018. Der Kläger trug im Wesentlichen vor, der Arbeitgeber habe ihm aufgrund seiner Schwerbehinderung die Möglichkeit des Homeoffice-Arbeitsplatzes eingeräumt. Seit Januar 2013 betreibe er ein offizielles Außenbüro für die Firma C. Alle Verkäufer und Angestellten der Firma C. aus Holland mit Wohnsitz in Deutschland und Österreich seien bei der deutschen Firma B. angestellt. Er sei dort als Account Manager tätig, was neben der Organisation sämtlicher Webshop-Bestellungen die Erstellung von Angeboten und den aktiven Telefonverkauf an die Fachhandelskunden beinhalte. Es handle sich bei seinem Homeoffice-Arbeitsplatz um einen komplett getrennten Arbeitsbereich im Untergeschoss des Einfamilienhauses. Der Weg vom Eingangsbereich zu seinem Homeoffice sei daher ein offizieller Arbeitsweg, den er täglich mehrmals laufe, um Arbeitskollegen hereinzulassen oder zu verabschieden, Arbeitsmaterialien zu empfangen oder zu übergeben, reklamierte Rückware der Kunden in den Fahrzeugen der Auslieferungsfahrer zu begutachten und Fotos zur Weiterleitung an die Zentrale zu machen oder die Toilette zu besuchen. Die Toilette im Erdgeschoss werde auch von seiner Arbeitskollegin und den Vorgesetzten benützt. Das Homeoffice sei mit allen technischen Mitteln durch den Arbeitgeber ausgestattet.
12
Der Kläger trug des Weiteren vor, die Kosten des Büros seien bis zum Jahresende 2014 durch die unter der Adresse des Klägers laufende Handelsagentur D., für die er zusätzlich bis 30.10.2014 (laut Meldebescheinigung zur Sozialversicherung) tätig gewesen sei, dem Arbeitgeber (Firma C.) in Rechnung gestellt worden. Dazu legte er für November 2014 eine Rechnung Handelsagentur D. an die Firma C. über 115,95 € für Mobiltelefon und eine weitere Rechnung über 344,56 €, davon 200 € „Büropauschale“, vor.
13
Später teilte der Kläger mit, vom 01.05.2011 bis 31.12.2012 seien die Abrechnungen über E. gelaufen, vom 01.01.2013 bis 31.12.2014 über die Handelsagentur D. Im Schreiben vom 03.12.2018 präzisierte er dies dahin, seine Söhne F. und S. seien beide als Fahrer für seinen Arbeitgeber tätig gewesen und hätten im Büro lediglich die Fahrerprotokolle abgegeben, die von ihm verarbeitet und dem Arbeitgeber in Rechnung gestellt worden seien. Keiner der Söhne habe direkte Bürotätigkeiten ausgeübt, des Büro sei daher nicht für weitere oder sonstige Tätigkeiten benützt worden.
14
Der Kläger legte seinen Arbeitsvertrag mit der Firma B. aus dem Jahr 2014 vor, wonach er eine Vergütung von 3300 € brutto monatlich erhielt; daneben erstattete der Arbeitgeber dem Kläger Spesen und sonstige Aufwendungen, die im Rahmen ordnungsgemäßer Erfüllung dieses Vertrags für die Gesellschaft aufzubringen waren. Der Kläger bekam ein Handy und einen Laptop für die Ausübung seiner Funktion. Als Anlage wird unter „Auftrag und Zielsetzungen für 2014“ u.a. ausgeführt, dass der Kläger „lokaler Kontakt für die Firma C., Kunden und Fahrer“ sei.
15
Auf Anfrage des Gerichts teilte der Arbeitgeber B. mit Schreiben vom 01.05.2019 mit, der Kläger habe seit 01.05.2011 von zuhause aus in Vollzeit gearbeitet. Computer und Laptop seien von der Firma C. gestellt, Kosten für Telefon und Handy sowie eine Bürokostenpauschale von monatlich 200 € von dieser bezahlt worden. Im Büro hätten regelmäßige Treffen stattgefunden, es handle sich um ein Verkaufsbüro des Arbeitgebers, in dem regelmäßige Gespräche mit Kollegen stattfinden. Der Arbeitgeber habe keinen Schlüssel für Haus und Büro, es handle sich trotzdem um eine Art Betriebsstätte. Kontrollen zur Arbeitssicherheit hätten nicht stattgefunden, da es sich um einen normalen Zugang über eine normale Treppe ins Büro handle. Die Beklagte trug dazu vor, das Büro sei keine Betriebsstätte, da der Arbeitgeber keine Verfügungsgewalt habe und auch keine Maßnahmen im Sinne des Arbeitsschutzes ergreife. Die Firma B. legte noch eine Lohnabrechnung für November 2014 vor, wonach der Kläger in diesem Monat 3.300 € brutto erhalten hatte.
16
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 04.07.2019 gab der Kläger an, die Toilette im Erdgeschoss sei damals von allen Hausbewohnern, also ihm, seiner Frau und seinem Sohn F. sowie von Gästen und Kollegen genützt worden. Im Erdgeschoss gebe es keine weitere Toilette oder Bad, es gebe aber ein Bad mit Toilette im 1. Stock für die Schlafzimmer. Er habe bereits vor Mai 2011 eine Handelsagentur gehabt und sei ab Mai 2011 für die Firma C. tätig gewesen. Dabei habe er sein Büro der Firma C. zur Verfügung gestellt, damit die Geschäfte von dort aus betrieben werden. Er habe ab Mai 2011 bis Ende 2013 eine Kooperationsvereinbarung mit der Firma C. gehabt, die das Einkommen von ihm und seinen Söhnen geregelt und daneben eine Büropauschale von 200 € vorgesehen habe. Es handele sich um eine Art Miete für den Raum sowie eine Pauschale für Strom usw. Neben seinem Büro habe ein Infoplakat der Beklagten gehangen. Im Jahr 2014 sei er Anlaufstelle für Kundenanfragen, Fahrer von C. und zuständig für Südbayern, Österreich und Südtirol gewesen. Eine Niederlassung von C. gebe es in diesem Gebiet nicht. Er habe offizielle Servicezeiten von 8 bis 17 Uhr gehabt, sei jedoch länger erreichbar gewesen, weil vor allem in der Früh die Fahrer ganz früh losgefahren seien und er der Ansprechpartner gewesen sei. Stunden seien nicht erfasst worden vom Arbeitgeber.
17
Der Zeuge gab an, er sei im Jahr 2014 etwa alle zwei bis drei Wochen in der Nähe des Klägers und dann etwa zweimal in dieser Woche beim Kläger gewesen, für jeweils ca. zwei bis drei Stunden. Seiner Meinung nach sei das Büro eine Außenstelle der Firma, diese habe einen monatlichen Betrag dafür gezahlt. Eine Gefährdungsbeurteilung oder eine Prüfung der Arbeitssicherheit seien nicht erfolgt. Eine Art Präsenzpflicht in der Weise, dass der Kläger zu bestimmten Zeiten am Arbeitsplatz zu sein hatte, habe es nicht gegeben. Die Hauptarbeit des Klägers sei hinter dem Computer gewesen, so habe die Firma natürlich auch erwartet, dass der Kläger zu seinen Arbeitszeiten in seinem Büro sei und arbeite. Der Kläger ergänzte dazu, 2014 seien mehrfach wöchentlich Fahrer gekommen.
18
Der Kläger beantragte,
unter Aufhebung des Bescheids vom 25.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.04.2018 wird die Beklagten verpflichtet, den Bescheid vom 10.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2017 aufzuheben und das Unfallereignis vom 04.11.2014 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
19
Die Beklagtenvertreterin beantragte,
die Klage abzuweisen.
20
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Akten der Beklagten und des Gerichtsverfahrens S 23 U 328/17 verwiesen.
Entscheidungsgründe
21
Die zulässige Klage führt in der Sache nicht zum Erfolg.
22
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist gerichtet auf Aufhebung des streitigen Überprüfungsbescheids vom 25.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.04.2018 und Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des einen Arbeitsunfall ablehnenden Bescheids vom 10.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2017 sowie die Verpflichtung zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Sie ist statthaft als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz, SGG; vgl. zum Wahlrecht zwischen Feststellungs- und Verpflichtungsklage bei begehrter Anerkennung von Arbeitsunfällen: BSG Urteile vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R und vom 15.5.2012 – B 2 U 8/11 R).
23
Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Bescheids vom 10.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2017 und zur Anerkennung des Unfallereignisses vom 04.11.2014 als Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII).
24
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Beklagte hat auf den Antrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 31.08.2017 zu Recht den Bescheid vom 10.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2017 erneut überprüft. Jedoch liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung dieses Bescheids nicht vor, da der Kläger am 04.11.2014 keinen Arbeitsunfall iSd § 8 Abs. 1 SGB VII erlitten hat, als er auf dem Weg von der Toilette zurück zu seinem häuslichen Arbeitszimmer (Homeoffice) auf der Treppe stürzte.
25
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb Versicherter ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang). Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod der Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; vgl. BSG vom 05.07.2016 – B 2 U 19/14 R).
26
Der Kläger hat zwar einen Unfall und dadurch unstreitig einen Gesundheitserstschaden erlitten. Er war auch als Beschäftigter kraft Gesetzes versichert. Seine Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses – das Hinabsteigen der Treppe – stand aber nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Zum Unfallzeitpunkt übte er weder eine Beschäftigung iSd § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII aus (dazu 1.) noch legte er im Zusammenhang mit dieser einen Betriebsweg zurück (dazu 2.). Der Kläger befand sich auch nicht auf einem versicherten Weg zum Toilettenbesuch (dazu 3.). Schließlich war er im Unfallzeitpunkt nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII geschützt (dazu 4.).
27
1. Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigter liegt vor, wenn ein Verletzter zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse ihrer Verrichtung diesem und nicht ihr selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (vgl. § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung iSd § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht, oder sie unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt (st Rspr, vgl. BSG Urteile vom 05.07.2016- B 2 U 5/15 R, vom 23.4.2015 -B 2 U 5/14 R, vom 26.6.2014 – B 2 U 7/13 R, vom 15.5.2012 – B 2 U 8/11 R, vom 13.11.2012 – B 2 U 27/11 R).
28
Der Kläger benutzte die Treppe im Unfallzeitpunkt aber nicht, um damit eine (vermeintliche) Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem Arbeitsverhältnis als Außendienstmitarbeiter zu erfüllen oder ein eigenes unternehmensbezogenes, innerbetrieblichen Belangen dienendes Recht wahrzunehmen. Er handelte nicht im unmittelbaren Betriebsinteresse, sondern allein im eigenen Interesse auf dem Weg zu einer höchstpersönlichen Verrichtung (allgM zum Toilettengang, vgl. Schwerdtfeger in Lauterbach, Unfallversicherung – SGB VII, 49. EL 12/12, § 8 SGB VII, Rn. 218; Keller in Hauck/Noftz, SGB, 06/18, § 8 SGB VII, Rn. 137a; Mertens/Bereiter-Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, EL 3/18, § 8, Rn. 7.34, Bieresborn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 2 SGB VII; BayLSG, Urteil vom 06.05.2003 – L 3 U 323/01 und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.07.2015 – L 6 U 526/13). Auch eine arbeitsrechtliche Verpflichtung zu gesundheitsfördernden, der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dienenden Handlungen besteht grundsätzlich nicht (vgl. BSG Urteil vom 05.07.2016- B 2 U 5/15 R mwN).
29
2. Der Kläger befand sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem Betriebsweg iSd § 8 Abs. 1 Satz 1 iVm § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII.
30
a) Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen (st Rspr, vgl. BSG Urteile vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R, vom 12.1.2010 – B 2 U 35/08 R, vom 02.04.2009 – B 2 U 25/07 R, vom 12.12.2006 – B 2 U 1/06 R, vom 06.05.2003 – B 2 U 33/02 R). Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen, unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit iSv § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen; sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen (vgl. BSG Urteile vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R, vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R und vom 28.02.1990 – 2 RU 34/89). Ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimmt sich grundsätzlich nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (vgl. BSG Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R; Keller, a.a.O., § 8 SGB VII, Rn. 32).
31
b) Das BSG hat in st Rspr ausgeführt, dass ein im unmittelbaren Betriebsinteresse liegender Weg grundsätzlich nur außerhalb eines (privaten) Wohngebäudes in Betracht kommt. Befinden sich die Wohnung und die Arbeitsstätte im selben Gebäude, ist ein Betriebsweg ausnahmsweise auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn er in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird.
32
Bei Unfällen im häuslichen Bereich wurde zur Abgrenzung, ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird, früher auf das Kriterium der „objektiven“ Nutzungshäufigkeit des Unfallorts abgestellt (vgl. BSG Urteile vom 12.12.2006 – B 2 U 1/06 R und vom 27.10.1987 – 2 RU 32/87). Nach neuerer und überzeugender Rechtsprechung gilt jedoch auch hier die Abgrenzung nach der objektivierten Handlungstendenz (eindeutig nun: BSG, Urteile vom 27.11.2018 – B 2 U 8/17 R und vom 31.8.2017 – B 2 U 9/16 R; vgl. zuvor bereits BSG Urteile vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R und vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R; vgl. Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 103. EL, 3/19, § 8 SGB VI, Rn. 129b, Keller, a.a.O., § 8 Rn. 33b ff).
33
c) Ausgehend davon lag hier bei dem Rückweg von der Toilette in das Büro kein Betriebsweg vor, und zwar unabhängig vom konkreten Umfang der betrieblichen oder privaten Nutzung der in den Keller führenden Treppe. Denn wie bereits zuvor dargelegt handelt es sich beim Toilettengang grundsätzlich um eine eigenwirtschaftliche Beschäftigung. Dies gilt auch für den Rückweg zum Arbeitsplatz, denn auch der Weg zum Arbeitsplatz im häuslichen Bereich ist kein Betriebsweg (vgl. Mertens/Bereiter-Hahn, a.a.O., § 8, Rn. 7.14.2. b, aa und Schwerdtfeger, a.a.O., § 8 Rn. 256). Auch der Umstand, dass der Kläger darauf angewiesen ist, die Treppe zu benutzen, um seiner Beschäftigung überhaupt nachgehen zu können, kann das unmittelbare betriebliche Interesse nicht begründen (BSG, Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R).
34
d) Die Tatsache, dass die Ausübung einer Beschäftigung in einem Homeoffice zu einer Verlagerung von den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich führt, rechtfertigt nach st Rspr. des BSG keine andere Beurteilung. Denn die betrieblichen Interessen dienende Arbeit in der Wohnung eines Versicherten nimmt dieser außerhalb des konkreten Arbeitszimmers oder -raums nicht den Charakter der häuslichen Lebenssphäre (vgl. BSG Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R mit Verweis auf Urteil vom 07.11.2000 – B 2 U 39/99 R). Hintergrund dessen ist, dass der Versicherte mit den der privaten Wohnung innewohnenden Risiken besser vertraut und für diese Kraft seiner Verfügungsmacht über die Wohnung selbst verantwortlich ist. Auch ist es dem Arbeitgeber außerhalb des Betriebsgeländes regelmäßig verwehrt, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Unternehmer sind zwar für die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, für die Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe verantwortlich (§ 21 Abs. 1 SGB VII). Die Verpflichtung zur Durchführung von Präventionsmaßnahmen beschränkt sich im häuslichen Bereich aber auf die jeweilige Betriebsstätte, zu der jedenfalls häusliche Örtlichkeiten außerhalb eines räumlich abgegrenzten Homeoffice nicht zählen (so mit ausführlicher und überzeugender Begründung: BSG Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R).
35
3. Der Kläger befand sich zum Unfallzeitpunkt auch nicht auf einem versicherten Weg zur Verrichtung der Notdurft.
36
a) Unfälle auf Wegen zur Verrichtung der Notdurft im Betrieb und den entsprechenden Rückwegen sind in ständiger Rechtsprechung als Arbeitsunfall anerkannt worden. Dies beruht auf dem Gedanken, dass der Versicherte durch die Anwesenheit auf der Betriebsstätte gezwungen ist, seine Notdurft, die eine regelmäßig unaufschiebbare Handlung ist, der Fortsetzung der Arbeit direkt im Anschluss daran dient und somit auch im mittelbaren Interesse des Arbeitgebers liegt, an einem anderen Ort zu verrichten, als er dies von seinem häuslichen Bereich aus getan hätte. Das Zusammentreffen beider betriebsbezogener Merkmale, das notwendige Handlungsziel und die Betriebsbedingtheit des Weges zur Toilette, bewirkt den wesentlichen inneren Zusammenhang zwischen dem Betrieb und dem Weg von und zur Verrichtung der Notdurft (allgM, vgl. BSG, Urteil vom 06.12.1989 – 2 RU 5/89; Schwerdtfeger, a.a.O., § 8, Rn. 218a; Krasney in Krasney / Burchardt / Kruschinsky / Becker, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) 11/15, § 8 Rn. 83 sowie Spellbrink, Unfallversicherungsschutz bei Tätigkeiten im Homeoffice und bei Rufbereitschaft, in NSZ 2016, S. 527, 529 f). Mit demselben Argument wurden auch Wege von und zu der Nahrungsaufnahme als versicherte Wege anerkannt: Es handelt sich um Wege, die in ihrem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt sind, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten, auch dient die Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit (vgl. die zuvor genannten Quellen sowie BSG Urteile vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R und vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R).
37
b) Ausgehend davon wurde in der bisherigen Rspr. des BSG Versicherungsschutz auf dem Weg vom Homeoffice zur Nahrungsaufnahme verneint (für den Weg in die häusliche Küche zum Wasserholen: BSG Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R; für den Weg zum Restaurant: BSG Urteil vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R; zustimmend Keller, a.a.O., Rn. 20b; Ricke, a.a.O., Rn. 129c; Spellbrink, a.a.O., S. 530). Laut BSG ist eine Betriebsbedingtheit des Weges in diesen Fällen nicht bereits darin zu sehen, dass ein Versicherter den Weg zur Küche über die Treppe deshalb zurücklegen musste, weil er sich zuvor in seinem häuslichen Arbeitszimmer aufgehalten hatte. Versicherungsschutz schied vielmehr aus, weil die Versicherten weder räumlich noch zeitlich hinsichtlich der Nahrungsaufnahme betrieblichen Vorgaben oder Zwängen unterlegen waren. Denn der Weg zur Küche/ zum Restaurant war weder räumlich durch einen außerhalb der Wohnung gelegenen Betriebsort vorgegeben noch innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen, er stand auch in keinem Zusammenhang mit der bereits erbrachten Arbeit (BSG, Urteile vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R und vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R).
38
c) Ausgehend davon ist auch im hiesigen Fall kein versicherter Weg des Klägers von der Toilette zu seinem Homeoffice-Arbeitsplatz anzunehmen. Die Toilette und Kellertreppe sind dem privaten Bereich zuzuordnen (aa). Ausgehend davon war der Rückweg von der Toilette nicht betriebsbezogen (bb). Auch aufgrund der Tatsache, dass der Kläger Vollzeit im Homeoffice arbeitet (cc) und darauf aufgrund seiner Epilepsie-Erkrankung angewiesen ist (dd), ergibt sich nichts Anderes.
39
aa) Trotz der Besonderheiten im konkreten Fall sind zur Überzeugung des Gerichts die Toilette im Erdgeschoss des Hauses des Klägers und auch die Kellertreppe hier dem häuslichen und nicht dem betrieblichen Bereich zuzuordnen. Es fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Toilette bzw. der Kellertreppe um eine Betriebsstätte handelt.
40
Bei Versicherten, die mit Billigung und finanzieller Unterstützung des Arbeitgebers im Homeoffice arbeiten (vgl. zur Abgrenzung zwischen einer rein zusätzlichen privaten Arbeitsgelegenheit zuhause zu einem arbeitsvertraglich geregelten Arbeitsort, der Arbeitsstätte iSd SGB VII sein kann: BSG, Urteil vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R), besteht grundsätzlich nur Versicherungsschutz innerhalb der Arbeitsstätte, also des zur Telearbeit eingerichteten Arbeitsraumes. Im Übrigen nimmt nach überzeugender Ansicht des BSG – wie oben bereits ausführlich dargelegt – die betrieblichen Interessen dienende Arbeit in der Wohnung eines Versicherten dieser außerhalb des konkreten Arbeitszimmers oder -raums nicht den Charakter der häuslichen Lebenssphäre (vgl. BSG Urteile vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R, juris Rn. 26 und 27, und vom 7.11.2000 – B 2 U 39/99 R).
41
Ausnahmsweise kann jedoch eine häusliche Toilette Teil der Betriebsstätte sein. Dies wurde von BSG angenommen für den Fall, dass eine Toilette wesentlich für betriebliche Zwecke genutzt wurde, bzw. der Arbeitgeber eine Werkstätte im Haus des Versicherten angemietet hatte, weil eine Toilette dann gemäß Arbeitsstättenverordnung als Arbeitsstätte zu werten sei (vgl. BSG, Urteil vom 31.05.1967 – 2 RU 218/64 für Treppe zwischen Haus und im Erdgeschoss gelegenen Friseursalon, die auch von Kunden und Angestellten benützt wurde, und Urteil vom 23.06.1982 – 9b/8 RU 8/81 für eine vom Arbeitgeber angemietete Werkstätte zur Produktion von Bürsten im Keller des eigenen Hauses; vgl. auch Krasney, a.a.O., § 8 Rn. 83, Schwerdtfeger, a.a.O., Rn.218a; Mertens/Bereiter-Hahn, a.a.O., § 8 Rn. 7.34). Gleiches muss gelten, wenn die Toilette aufgrund arbeitsvertragliche Regelung zum Arbeitsbereich gehört (so Keller, a.a.O., § 8, Rn. 20b).
42
Aufgrund der oben bereits dargelegten Rechtsprechung geht das Gericht davon aus, dass eine Abgrenzung nach der Frage, ob die Toilette/Treppe wesentlich für betriebliche Zwecke genutzt wurde, heute grundsätzlich nicht mehr maßgeblich ist, da sonst diesem vom BSG zu Recht abgelehnten und auch unscharfem Kriterium doch wieder Bedeutung zukäme. Dies kann allenfalls ein Indiz für die Frage sein, ob eine Toilette als Teil der Betriebsstätte zu werten ist. Dafür kommt es vor allem auf die rechtliche, d.h. arbeitsvertragliche und ggf. mietvertragliche Ausgestaltung an. Diese führt hier in der Gesamtbetrachtung dazu, dass weder die Toilette im Erdgeschoss des Hauses des Klägers noch die Kellertreppe als Teil der Betriebsstätte zu werten ist.
43
Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Kläger durch den Arbeitgeber für die Heimarbeit laut Arbeitsvertrag vom 07.01.2014 ein Handy und einen Laptop bekommen hat. Zudem wurde, im streitigen Zeitpunkt allerdings noch über die Handelsagentur D., neben den Kosten für Festnetz und Mobiltelefon eine Büropauschale in Höhe von 200 monatlich durch die Firma B. / C. übernommen. Damit handelt es sich beim Büro des Klägers zweifellos um eine Arbeitsstätte (iSd Kriterien des BSG laut Urteil vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R). Diese war nicht nur alleiniger Arbeitsplatz des Klägers, sondern diente unzweifelhaft, wie der Kläger und der Zeugen übereinstimmend und glaubhaft berichtet haben, auch als Besprechungsraum für diverse Mitarbeiter der Firma B. / C. So haben dort mehrfach monatlich Besprechungen des Klägers mit dem Zeugen, darüber hinaus in selteneren Abständen mit weiteren Mitarbeitern der Firma B. / C. stattgefunden. Ein offizielles Büro der Firma B. / C. für die Bereiche Süddeutschland/ Österreich/ Südtirol, für die der Kläger zuständig war, bestand nicht. Zudem war das Büro des Klägers Anlaufstelle für die Fahrer der Firma B. / C. auf dem Weg zur Auslieferungen bzw. mit Reklamationen. Damit hatte das Büro zweifellos, wie auch der Arbeitgeber in der schriftlichen Auskunft vom 01.05.2019 sowie der Zeuge in der mündlichen Verhandlung angegeben hatten, eine wichtige Funktion als „Knotenpunkt“ für die B. / C. Die Funktion des Büros ging damit deutlich über einen reinen Homeoffice-Arbeitsplatz des Klägers hinaus. Dabei wurden die Kellertreppe sowie die Toilette im Erdgeschoss damit auch von weiteren Mitarbeitern der Firma B. / C. regelmäßig genützt.
44
Dennoch geht das Gericht unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht davon aus, dass die Toilette oder die Kellertreppe Teil der Betriebsstätte waren. Dabei berücksichtigt das Gericht zunächst die räumlichen Verhältnisse insofern, als die Toilette und das Büro keine irgendwie abgetrennte und eng zusammenhängende Einheit waren. Die Toilette befand sich vielmehr im Erdgeschoss und wurde damit – als alleinige Toilette im Erdgeschoss – auch von allen anderen Hausbewohnern sowie privaten Gästen benutzt. Auch die Treppe war gleichermaßen Zugang zu den privaten Kellerräumen (Vorrats-, Wasch und Heizraum).
45
Maßgeblich ist jedoch vor allem, dass eine Verfügungsgewalt des Arbeitgebers, die eine Zurechnung zu dessen Risikosphäre rechtfertigen würde, hier zur Überzeugung des Gerichts nicht gegeben war. Wie oben bereits ausgeführt beruht die Annahme des Versicherungsschutzes für Wege zu/ von der Toilette u.a. auf der Betriebsbezogenheit des Weges. Hintergrund ist die Eingliederung des Arbeitnehmers in die betriebliche Sphäre, für die grundsätzlich der Arbeitgeber verantwortlich ist und auf die er, auch durch die gesetzlich gebotenen Präventionsmaßnahmen, Einfluss nehmen kann. Diese entscheidenden Kriterien sind hier gerade nicht erfüllt. Der Arbeitgeber hatte, wie sich aus der Auskunft vom 01.05.2019 und der Zeugenaussage ergibt, keinen Schlüssel zum Haus. Zudem haben, wie der Zeuge glaubhaft angegeben hat, durch den Arbeitgeber keinerlei Sicherheitsmaßnahmen/ Kontrollen/ Begehungen etc. stattgefunden. Der Zeuge hat in diesem Zusammenhang vielmehr ausgeführt, der Arbeitgeber habe nur die sächlichen Mittel zur Verfügung gestellt und eine Pauschale für den Raum gezahlt. Die entsprechende Vereinbarung konnte weder vom Arbeitgeber noch vom Kläger vorgelegt werden. Aus der Bezeichnung „Bürokostenpauschale“ sowie dem fehlenden Schlüssel schließt das Gericht jedoch, dass es sich nicht um eine echte Miete iSd § 535 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) handelte, bei welcher der Mieter Besitzer der Sache wird und Verfügungsgewalt sowie Verantwortung für den Zustand der Sache erhält. Der Fall unterscheidet sich daher von dem vom BSG 1982 entschiedenen Fall, wo die Werkstätte im Haus des dortigen Klägers iSv § 535 BGB durch den Arbeitgeber gemietet worden war. Auch arbeitsvertraglich ist lediglich festgehalten, dass der Arbeitgeber Laptop und Handy stellt; irgendeine Regelung dahingehend, dass die Treppe oder die Toilette arbeitsvertraglich zum Arbeitsbereich gehören, lässt sich dem Arbeitsvertrag nicht entnehmen.
46
Damit ist zur Überzeugung des Gerichts zwar das Büro des Klägers eine Arbeitsstätte, Kellertreppe und Toilette sind aber selbst keine Betriebsstätte, sondern dem privaten Bereich des Klägers zuzuordnen. Ergänzend ist anzumerken, dass die Arbeitsstättenverordnung gemäß § 2 nur für Orte in Gebäuden gilt, die sich auf dem Gelände eines Betriebes oder einer Baustelle befinden, weshalb eine Einordnung der Toilette als Teil der Arbeitsstätte gemäß § 2 Abs. 4 Nr. 3 Arbeitsstättenverordnung (auf die das BSG in der Entscheidung vom 23.06.1983 – 9b/ 8 RU 8/81 abgestellt hatte) hier nicht infrage kommt, da das Haus des Klägers nicht als Betrieb iSd Arbeitsstättenverordnung anzusehen ist.
47
bb) Ausgehend von einer grundsätzlichen Zuordnung der Toilette und Kellertreppe zum privaten Bereich war der Rückweg des Klägers von der Toilette zu seinem Homeoffice nicht versichert. Es fehlt die Betriebsbezogenheit des Weges.
48
Das BSG hatte in seinen entsprechenden Entscheidungen auf dem Weg zur Versorgung mit Nahrung/Getränken darauf abgestellt, ob der Weg räumlich durch einen außerhalb der Wohnung gelegenen Betriebsort vorgegeben oder innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen war und ob er in einem Zusammenhang mit der bereits erbrachten Arbeit stand (BSG, Urteile vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R und vom 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R). Das ist hier zu verneinen.
49
Die Arbeitsstätte war innerhalb des Hauses des Klägers und dieser unterlag auch zeitlich keinen derart engen Vorgaben, die es rechtfertigen würden, eine maßgebliche Eingliederung in betriebliche Belange und damit Betriebsbedingtheit des Weges anzunehmen. Zwar wurde vom Kläger eine Arbeit und Anwesenheit im Rahmen der üblichen Arbeitszeiten erwartet, auch, um als Ansprechpartner für Fahrer zu fungieren. Stunden wurden jedoch nicht erfasst und eine konkrete Präsenzpflicht gab es nach Angaben des Zeugen nicht. Die Fahrer haben nach Aussage des Klägers vor der Ankunft bei diesem idR kurz angerufen und sich angekündigt. Damit lassen sich keine zeitlichen Vorgaben und keine Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Firma B. / C. erkennen, die über das im Homeoffice Übliche hinausgeht; denn auch im Homeoffice wird idR jedenfalls grundsätzlich Anwesenheit am Arbeitsplatz innerhalb bestimmter Zeiten verlangt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Toilettengang in einem Zusammenhang mit der bereits erbrachten Arbeit stand (z.B. betriebsbedingte große Eile).
50
Damit sind hier im Ergebnis die entscheidenden Merkmale, die eine Betriebsbezogenheit des Weges stützen, nicht erfüllt (ebenso für den Weg zu einer privaten Toilette im Homeoffice: Ricke, a.a.O., Rn. 129c; Keller, a.a.O., Rn. 20b).
51
cc) Eine Betriebsbedingtheit des Weges ergibt sich hier nicht ausnahmsweise daraus, dass der Kläger – wie sich aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag sowie den überzeugenden Aussagen des Klägers und des Zeugen ergibt – zu 100% im Homeoffice gearbeitet hat.
52
Zwar hatte das BSG in der zuvor genannten Entscheidung vom 18.06.2013 (B 2 U 7/12 R) ausgeführt, aus Gleichheitsgründen könnte möglicherweise zu fordern sein, dass bei Vollzeit im Homeoffice Tätigen jedenfalls ein Weg zur täglichen Nahrungsaufnahme bzw. zur Versorgung mit Nahrungsmitteln unter Versicherungsschutz stehen müsse (zustimmend Spellbrink, a.a.O., S. 530). Das Gericht geht allerdings nicht davon aus, dass aus Gleichheitsgründen eine gewisse Anzahl von Toilettengängen täglich bei Personen, die zu 100% im Homeoffice arbeiten, unfallversichert sein muss.
53
Denn es bestehen gerade im Hinblick auf Sinn und Zweck sowie Hintergrund des Unfallversicherungsschutzes maßgebliche Unterschiede, die eine verschiedene rechtliche Behandlung rechtfertigen. Zu berücksichtigen ist, dass die Betriebsbedingtheit des Wegs zur Toilette vom BSG auf zwei Aspekte gestützt wurde, nämlich einerseits die Notwendigkeit des Toilettengangs zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit, die auch hier zutrifft, sowie andererseits die Betriebsbezogenheit des Weges. Insoweit bestehen maßgebliche Unterschiede zwischen dem Weg zur Toilette innerhalb des Betriebs und im häuslichen Bereich beim Homeoffice. Vor dem Hintergrund der haftungsersetzenden Funktion der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. Spellbrink, a.a.O., S. 528) beruht die Versicherung auch bei an sich privaten Verrichtungen wie dem Gang zur Toilette auf dem Gedanken der Haftung des Arbeitgebers für die Mängel seiner Arbeitsgeräte und der Ausstattung des Arbeitsplatzes. Der Arbeitnehmer wechselt in die (auch räumliche) Sphäre des Arbeitgebers und damit in dessen Risikosphäre, weil er in einen fremden Betrieb und dessen räumliche und zeitliche Organisation eingegliedert ist. Dieser Gedanke greift aber nicht für das Homeoffice, jedenfalls nach Verlassen der eigentlichen Arbeitsstätte, also grundsätzlich des Arbeitszimmers (so das BSG im Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R; vgl. hier bereits aa). Im Homeoffice besteht keine räumliche oder zeitliche Eingliederung in einen Betrieb; mit Verlassen der Betriebsstätte begibt sich ein Versicherter vielmehr in seinen häuslichen Bereich und damit seine eigene Risikosphäre. Diese ist zudem der ansonsten im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung vorgesehenen Kontrolle und Prävention durch den Arbeitgeber entzogen (vgl. zu diesen Gedanken Spellbrink, a.a.O., S. 530). Auch das BSG hatte, wie oben bereits dargelegt, wiederholt ausgeführt, dass die betrieblichen Interessen dienende Arbeit in der Wohnung eines Versicherten dieser außerhalb des konkreten Arbeitszimmers oder -raums nicht den Charakter der häuslichen Lebenssphäre nimmt.
54
Damit geht das Gericht davon aus, dass ein Toilettengang vom Homeoffice in eine im häuslichen Bereich liegende Toilette sowie der Rückweg nicht bereits deshalb unfallversichert ist, weil ein Versicherter – wie hier der Kläger – zu 100% im Homeoffice arbeitet.
55
dd) Eine Betriebsbedingtheit des Wegs zur / Rückwegs von der Toilette ergibt sich hier nicht ausnahmsweise daraus, dass der Kläger – wie er selbst vorgetragen hatte – durch seine Epilepsie darauf angewiesen war, zu 100% im Homeoffice zu arbeiten. Weitere Ermittlungen zur Epilepsie-Erkrankung beim Kläger waren daher nicht geboten.
56
Bei der Epilepsie des Klägers handelt es sich um keine Erkrankung, die mit der betrieblichen Tätigkeit in irgendeinem Zusammenhang steht (vgl. zu diesem Aspekt BSG Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R: Trinkbedürfnis war nicht betrieblich bedingt). Vor diesem Hintergrund kann auf die Argumentation unter cc) verwiesen werden.
57
4. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt auch nicht durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII geschützt, da dieser Versicherungsschutz erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Hauses, in dem die Wohnung liegt, beginnt (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R mwN).
58
Im Ergebnis handelte es sich mangels Versicherungsschutzes zum Unfallzeitpunkt bei dem Unfallereignis vom 04.11.2014 zur Überzeugung des Gerichts nicht um einen Arbeitsunfall iSv § 8 Abs. 1 SGB VII. Ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Bescheids vom 10.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2017 gemäß § 44 SGB X und zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls besteht nicht.
59
Die Klage war damit abzuweisen.
60
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
Im ersten Teil unseres Beitrags zur Insolvenz von Arbeitgebern haben wir erläutert, was die Insolvenz eigentlich bedeutet und wie das Insolvenzverfahren abläuft. Hier kommt nun die Fortsetzung. Wir beantworten die wichtige Frage: Kann mir im Fall der Insolvenz gekündigt werden?
Wenn der Arbeitgeber insolvent wird, bleibt das Arbeitsverhältnis zunächst bestehen (§ 108 InsO). Das Schicksal der Arbeitsverhältnisse hängt stark davon ab, wie es mit dem Unternehmen weitergeht. Das entscheidet der Insolvenzverwalter, nachdem er die wirtschaftliche Lage analysiert und mögliche Optionen in Erwägung gezogen hat. Die Entscheidung kann darin bestehen, einen Betrieb komplett oder teilweise stillzulegen. Der Insolvenzverwalter kann aber auch entscheiden, das Unternehmen erstmal fortzuführen und strategisch neu aufzustellen.
Entscheidet der Insolvenzverwalter, dass der Betrieb ganz oder teilweise eingestellt wird, sind die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter konkret gefährdet. Der Insolvenzverwalter kann das Arbeitsverhältnis kündigen, wenn die Voraussetzungen einer Kündigung vorliegen.
Allerdings bleibt der Kündigungsschutz der Mitarbeiter bestehen. Arbeitgeber, die regelmäßig mehr als zehn Mitarbeiter in einem Betrieb in Deutschland beschäftigen, brauchen für eine Kündigung einen Kündigungsgrund. Das kann z.B. ein betriebsbedingter Grund sein. Die Insolvenz alleine reicht aber nicht aus! Der Arbeitgeber bzw. der Insolvenzverwalter muss vielmehr eine Organisationsentscheidung treffen, die dazu führt, dass der Bedarf für die Beschäftigung der Arbeitnehmer auf Dauer wegfällt. Das ist in der Praxis nicht immer einfach und birgt zahlreiche Fehlerquellen.
Im Falle der Insolvenz wird häufig entschieden, den Betrieb ganz oder teilweise stillzulegen. Bei dieser Entscheidung muss meistens auch der Betriebsrat einbezogen werden, wenn es einen gibt.
Entscheidet der Insolvenzverwalter, den Betrieb ganz oder teilweise stillzulegen, muss er für alle betroffenen Mitarbeiter prüfen, ob anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen bestehen – sei es auch auf deutlich schlechter bezahlten Stellen.
Wenn der Arbeitgeber nicht allen Mitarbeitern kündigt, muss er zudem darauf achten, dass er die richtigen auswählt. Die Auswahl kann nicht willkürlich getroffen werden. Vielmehr kommt es darauf an, welcher Mitarbeiter am wenigsten schutzwürdig ist. Die Kriterien hierfür sind durch das Kündigungsschutzgesetz abschließend geregelt: Es kommt auf die Betriebszugehörigkeit, das Alter, Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung des Mitarbeiters an. Der Insolvenzverwalter muss für jeden einzelnen Mitarbeiter anhand der genannten Kriterien sorgfältig prüfen, ob eine Kündigung in Betracht kommt. In der Praxis passieren hier häufig Fehler. Beachtet der Insolvenzverwalter die Kriterien der Sozialauswahl nicht oder unterlaufen ihm dabei Fehler, sind die Kündigungen unwirksam.
Grundsätzlich gilt in der Insolvenz eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende (§ 113 InsO). Besonders für langjährig Beschäftigte kann das ärgerlich sein. Denn die haben häufig eigentlich längere Kündigungsfristen. Umso länger das Arbeitsverhältnis bestanden hat, desto länger sind normalerweise die Kündigungsfristen. In manchen Arbeitsverträgen sind auch unabhängig von der Betriebszugehörigkeit von vornherein wesentlich längere Kündigungsfristen vereinbart. In der Insolvenz verlieren die Mitarbeiter diesen Schutz teilweise. Denn die gesetzliche Regelung sieht vor, dass sich alle Kündigungsfristen nach § 113 InsO auf drei Monate verkürzen. Sehen das Gesetz bzw. der Arbeits- oder Tarifvertrag hingegen eine kürzere Kündigungsfrist vor, dann gilt die auch in der Insolvenz.
Arbeitnehmer sollten sich gut überlegen, ob sie gegen eine Kündigung klagen, wenn die im Laufe des Insolvenzverfahrens ausgesprochen wird. Legt der Arbeitgeber seinen Betrieb vollständig still, geht die Klage ins Leere. Hoffnungen auf eine hohe Abfindung bestehen dann in der Regel auch keine, weil dem Arbeitgeber hierfür die finanziellen Mittel fehlen. Wenn es einen Betriebsrat gibt, kann der aber unter Umständen mit dem Arbeitgeber über einen Sozialplan verhandeln.
Die Erfolgsaussichten stehen anders, wenn der Insolvenzverwalter entscheidet, den Betrieb zumindest teilweise fortzusetzen und nur einem Teil der Mitarbeiter zu kündigen. Dann kann durch die Klage versucht werden, das Arbeitsverhältnis zu retten oder eine Abfindung auszuhandeln. Hierzu müssen Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben.
Ebenso können die Erfolgsaussichten ziemlich gut sein, wenn der Insolvenzverwalter entscheidet, das Unternehmen zu verkaufen. Denn grundsätzlich gehen dann alle Arbeitsverhältnisse auf den Käufer über (sog. Betriebsübergang, § 613a BGB). Eine Kündigung durch den neuen Arbeitgeber ist dann – sofern das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist – wieder nur möglich, wenn der einen triftigen Grund für die Kündigung vorweisen kann.
Für die Mitarbeiter von Germania sah es in dieser Hinsicht leider schlecht aus. Die Start- und Landerechte hätten ggf. noch an andere Fluggesellschaften verkauft werden können, wodurch ein Betriebsübergang hätte zustande kommen können, wenn die Lizenzen die wesentlichen Assets der Gesellschaft darstellen. Hierzu wird es aber wohl nicht kommen, weil der Flugbetrieb eingestellt wird.
Wenn eine Kündigung ausgesprochen wurde, sollten Arbeitnehmer sich spätestens drei Monate vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend melden, um später Nachteile beim Bezug von Arbeitslosengeld zu vermeiden. Ist dies aufgrund einer kurzfristigen Kündigung nicht mehr möglich, müssen sie sich innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts melden. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob Kündigungsschutzklage eingereicht wird.
Im ersten Teil des Beitrags gehen wir darauf ein, was Insolvenz eigentlich bedeutet, wie ein Insolvenzverfahren abläuft und wie Arbeitnehmer trotz Insolvenz an ihr Geld kommen.
In einem zweiten Teil wird es dann darum gehen, unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmer aufgrund einer Insolvenz ihres Arbeitgebers gekündigt werden können und welche Möglichkeiten sie im Fall einer Kündigung haben.
Anfang Januar waren finanzielle Schwierigkeiten bei der Airline Germania bekannt geworden. Die Januar-Gehälter konnten nur mit Verzögerung an die Mitarbeiter ausgezahlt werden. Am 4. Februar hat die Germania schließlich einen Insolvenzantrag gestellt. Anschließend versuchte der Insolvenzverwalter, einen Käufer zu finden, der die angeschlagene Airline übernimmt. Trotz zahlreicher Interessenten ist der Versuch gescheitert. Den rund 1.700 Mitarbeitern der Airline droht nun die Kündigung.
Insolvenz bedeutet zunächst nur, dass ein Unternehmen oder eine Privatperson seine Rechnungen nicht mehr fristgerecht bezahlen kann. Wenn das der Fall ist, muss ein förmliches Insolvenzverfahren eingeleitet werden, um sicherzustellen, dass die Gläubiger – soweit noch möglich – ihr Geld erhalten. Alle Gläubiger sollen gemeinschaftlich befriedigt, also die verbleibenden Vermögenswerte möglichst gleichmäßig verteilt werden (§ 1 InsO).
Gläubiger eines Unternehmens sind z.B. Lieferanten, Kunden, Geschäftspartner, Vermieter etc. Für Arbeitnehmer von Bedeutung: Wenn ein Unternehmen Angestellte hat, zählen auch diese zu den Gläubigern. Das Unternehmen schuldet den Arbeitnehmern deren Gehalt. Weil die Gehälter oft einen bedeutsamen Kostenpunkt darstellen, kommt es häufig vor, dass das Unternehmen die Gehälter seiner Mitarbeiter nicht mehr aufbringen kann und dadurch insolvent wird. So war es auch im Fall der Germania. Für die Mitarbeiter geht es dann darum, ihre Ansprüche auf noch offene Gehaltszahlungen nicht zu verlieren.
Wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig oder überschuldet ist, muss er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Amtsgericht beantragen. Das tat die Germania Anfang Februar. Nach der Anmeldung der Insolvenz wird zunächst ein sogenanntes „vorläufiges Insolvenzverfahren“ eröffnet und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Der hat drei Monate Zeit zu prüfen, ob das Unternehmen insgesamt genug Geld aufbringen kann, um alle Gläubiger zumindest teilweise zu befriedigen und die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Nur wenn dies der Fall ist, wird das eigentliche Insolvenzverfahren eröffnet. Sonst wird das Insolvenzverfahren vom Gericht abgelehnt (§ 26 InsO). Dann sieht es für die Gläubiger schlecht aus.
So war es bei der Germania. Zunächst gab es offenbar zahlreiche Interessenten, die die angeschlagene Airline hätten übernehmen wollen. Die Zeit hierfür war aber wohl zu knapp. Damit die Airline nicht ihre wichtigen Verkehrsrechte verliert, hätte sie ein Mindestmaß an Flugbetrieb aufrecht erhalten müssen. Sonst werden die Lizenzen vom Luftfahrtbundesamt (LBA) einer anderen Airline zugewiesen, um den Flugbetrieb in Deutschland zu gewährleisten. Dafür fehlte aber das Geld. Und zuletzt auch die Flugzeuge. Denn die waren nur geleast und die Leasinggesellschaften drängten auf Zahlung und waren nicht bereit, weiter Aufschub zu geben.
Wird das eigentliche Insolvenzverfahren eröffnet, gehen alle Rechte und Pflichten des insolventen Arbeitgebers auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 InsO). Einfacher ausgedrückt: Der Insolvenzverwalter wird neuer „Chef” der Mitarbeiter und ist somit auch für die Auszahlung des Arbeitsentgelts zuständig. Außerdem ist er den Arbeitnehmers gegenüber weisungsbefugt. In der Insolvenz kann das Weisungsrecht unter Umständen weiter reichen, als es im Arbeitsverhältnis sonst üblich ist. Soweit der Insolvenzzweck es erfordert, darf der Insolvenzverwalter den Mitarbeitern ggf. auch eine geringwertigere Arbeit zuteilen, als sie bisher verrichtet haben.
Auch für das Ausstellen von Arbeitszeugnissen ist der Insolvenzverwalter zuständig, wenn Arbeitnehmern nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt wurde.
Im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers fragen sich die Mitarbeiter zu Recht, woher sie ihr Geld bekommen, wenn der Arbeitgeber die Gehälter nicht mehr zahlen kann. Wichtig ist, dass alle Forderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter angemeldet werden (§ 174 Abs. 1 InsO). Das Insolvenzgericht bestimmt hierfür eine Frist.
Für die Mitarbeiter bedeutet das also, dass sie ihre Lohn-/Gehaltsabrechnungen der vergangenen Monate zunächst einmal sorgfältig prüfen sollten. Sind Beträge nicht vollständig aufgeführt oder nicht der volle Geldbetrag überwiesen worden, sollten die Forderungen aufgelistet und angemeldet werden. Es lohnt sich auch häufig, einen Blick in den Arbeitsvertrag zu werfen, um zu sehen, ob noch weitere offene Forderungen bestehen könnten, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind. Zu denken ist insbesondere an Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, den Jahresbonus oder auch Provisionsansprüche. In vielen Fällen unterliegen diese Ansprüche aber wiederum Ausschlussfristen. Werden die Forderungen verspätet geltend gemacht, können die Ansprüche erlöschen.
Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber Insolvenz angemeldet hat, können bei der Arbeitsagentur Insolvenzgeld beantragen, §§ 165 ff. SGB III. Dabei handelt es sich um eine einmalige Zahlung, die Arbeitnehmer auf Antrag als Ersatz für fehlendes Entgelt erhalten können. Es wird in Höhe des Nettolohns ausgezahlt und kann, je nachdem wie lange das vorläufige Insolvenzverfahren dauert, bis zu drei Monatsgehälter umfassen. Auch ausstehende Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgelder werden gezahlt. Der Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber geht mit Erhalt des Insolvenzgelds auf die Arbeitsagentur über.
Ein Antrag auf Insolvenzgeld muss innerhalb von zwei Monaten ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei der örtlichen Arbeitsagentur gestellt werden. Da die Bewilligung einige Zeit in Anspruch nehmen kann, kann unter Umständen auch ein Vorschuss beantragt werden.
Ist das eigentliche Insolvenzverfahren eröffnet, zahlt die Bundesagentur für Arbeit kein Insolvenzgeld mehr. Der Insolvenzverwalter muss dann dafür sorgen, dass die Löhne und Gehälter aus den vorhandenen Mitteln finanziert werden. Eine Besonderheit besteht hier gegenüber sonstigen Verbindlichkeiten des insolventen Arbeitgebers: Die Vergütungsansprüche der Mitarbeiter sind sogenannte bevorrechtigte Masseforderungen. Arbeitnehmer müssen sich mit ihren Lohnforderungen deshalb nicht in die Riege der übrigen Gläubiger einreihen, die ihre Forderungen in der Regel erst nach Ende des Verfahrens erhalten, soweit überhaupt genügend Geld vorhanden ist. Erfüllt der Insolvenzverwalter die Ansprüche nicht, können die Arbeitnehmer hiergegen Klage beim Arbeitsgericht erheben.
Es kann vorkommen, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter bei finanziellen Engpässen darum bitten, auf Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zu verzichten. Auch wenn sie selbst möchten, dass es dem Unternehmen bald wieder besser geht, sollten sich Arbeitnehmer darauf nicht ohne weiteres einlassen. In den wenigsten Fällen können sich Betriebe durch den Verzicht auf solche Zahlungen wirklich wieder sanieren.
Arbeitgeber können ihre Mitarbeiter auch bitten, die ausstehenden Zahlungen zu stunden, also sich darauf einzulassen, das Geld erst später zu erhalten. Ein Anspruch darauf besteht aber nicht. Arbeitnehmer sollten sorgfältig prüfen, ob sie sich darauf einlassen wollen. Das Risiko ist hoch, die Forderung auch später nicht mehr durchsetzen zu können.
Stundung und Verzicht können zudem zu Kürzungen beim Arbeitslosengeld führen. Denn das berechnet sich grundsätzlich auf Grundlage der tatsächlich gezahlten Bezüge. Verzichtet der Arbeitnehmer auf die Beträge oder stimmt er zu, dass sie erst später gezahlt werden, wird das Arbeitslosengeld reduziert. Kommt es hingegen allein deshalb nicht zur Auszahlung, weil der Arbeitgeber insolvent geworden ist, wird das Arbeitslosengeld in der Regel nicht gekürzt.
Es ist also Vorsicht geboten, wenn Arbeitgeber ihre Mitarbeiter bitten, sich auf einen Verzicht oder eine Stundung einzulassen.
Welche Schritte Arbeitnehmer aufgrund der Insolvenz ihres Arbeitgebers konkret unternehmen sollten und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung droht, lesen Sie bald an dieser Stelle in Teil II.
Nicht jeder Auslandseinsatz stellt eine Entsendung im Sinne der Richtlinie 96/71/EG (Entsenderichtlinie) dar. Dies hat der EuGH kürzlich festgestellt (19.12.19 – C-16/18).
Harte Maßnahme im Kölner Saturn. Bis Jahresende werden fast 60 Mitarbeiter entlassen. Ob die Kündigungen rechtmäßig sein werden, wird sich erst zeigen. Auf den ersten Blick scheint der Fall einige Stolpersteine bereit zu halten.
Seit heute verhandelt das Arbeitsgericht Berlin über die Kündigungsschutzklage einer Angestellten des Bundesumweltministeriums.
Heute (28.10.19) verhandelt das Aachener Verwaltungsgericht über die Klage eines Ex-Mitarbeiters der „Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen”.
Will der Arbeitgeber einem Verdacht gegen Mitarbeiter nachgehen, muss er sich an rechtliche Vorgaben halten.
Wer einen Kollegen beleidigt, muss mit einer fristlosen Kündigung rechnen. Das gilt auch, wenn einem Mitarbeiter rassistische Bilder und Textnachrichten per WhatsApp geschickt werden.
Wir erklären Ihnen, warum Sie Ihre Mitarbeiter ab jetzt immer frühzeitig auf noch ausstehenden Resturlaub hinweisen sollten.
Sturz beim Toilettengang im Homeoffice ist mangels Einfluss des Arbeitgebers auf die Sicherheit kein Arbeitsunfall.
Im zweiten Teil unserer Serie beantworten wir die wichtige Frage nach den Kündigungsmöglichkeiten des insolventen Arbeitgebers.
Nach airberlin, jetzt auch die Germania. Alle Versuche, die Airline zu retten, sind gescheitert. Das nehmen wir zum Anlass und beleuchten, was die Insolvenz eines Unternehmens für dessen Arbeitnehmer bedeutet.
Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell, während andere uns helfen, diese Website und Ihre Erfahrung zu verbessern.
Alle akzeptieren
Speichern
Nur essenzielle Cookies akzeptieren
Individuelle Datenschutzeinstellungen
Cookie-Details Datenschutzerklärung Impressum
Hier finden Sie eine Übersicht über alle verwendeten Cookies. Sie können Ihre Einwilligung zu ganzen Kategorien geben oder sich weitere Informationen anzeigen lassen und so nur bestimmte Cookies auswählen.
Alle akzeptieren Speichern
Zurück Nur essenzielle Cookies akzeptieren
Essenzielle Cookies ermöglichen grundlegende Funktionen und sind für die einwandfreie Funktion der Website erforderlich.
Cookie-Informationen anzeigen Cookie-Informationen ausblenden
Statistik Cookies erfassen Informationen anonym. Diese Informationen helfen uns zu verstehen, wie unsere Besucher unsere Website nutzen.
Inhalte von Videoplattformen und Social-Media-Plattformen werden standardmäßig blockiert. Wenn Cookies von externen Medien akzeptiert werden, bedarf der Zugriff auf diese Inhalte keiner manuellen Einwilligung mehr.
Datenschutzerklärung Impressum