Wenn im Herbst die erste Erkältungswelle durchs Land zieht, stellt sich in vielen Unternehmen wieder dieselbe Frage: Was gilt eigentlich bei Krankheit im Arbeitsverhältnis – und welche Rechte und Pflichten haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
In der neuen Folge unseres Podcasts Kaffeerecht sprechen Dennis Tölle und Hanna Schellberg über die juristischen und praktischen Fallstricke rund um Krankmeldung, Entgeltfortzahlung und Kündigung im Krankheitsfall. Ein Thema, das jeden betrifft – und bei dem Missverständnisse schnell teuer werden können.
Krank oder arbeitsunfähig – ein entscheidender Unterschied
Nicht jede Krankheit führt automatisch zur Arbeitsunfähigkeit. Ein gebrochener Fuß kann für eine Anwältin kein Problem sein, für einen Handwerker jedoch das sofortige Aus bedeuten. Entscheidend ist, ob die Krankheit die konkrete Tätigkeit unmöglich macht.
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) dokumentiert diese Einschätzung. Ohne besondere Regelung muss sie ab dem vierten Krankheitstag vorliegen – viele Arbeitgeber verlangen sie jedoch schon ab dem ersten Tag. Diese individuelle Vereinbarung ist zulässig und sollte im Arbeitsvertrag eindeutig geregelt sein.
Krankmeldung richtig machen – und was im Homeoffice gilt
Die Krankmeldung muss unverzüglich erfolgen – idealerweise vor Arbeitsbeginn. Dabei ist es nicht entscheidend, ob dies telefonisch, per E-Mail oder über interne Kommunikationskanäle geschieht. Maßgeblich ist nur, dass die Information ankommt.
Auch im Homeoffice gelten dieselben Regeln: Wer krank ist, ist krank – und nicht etwa „nur ein bisschen weniger produktiv“. Wer trotz Krankheit weiterarbeitet, riskiert im Zweifel sogar Verlängerung oder Verschleppung der Erkrankung.
Entgeltfortzahlung – und wann sie entfällt
Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) regelt klar: Bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit zahlt der Arbeitgeber bis zu sechs Wochen lang das Gehalt weiter. Danach greift das Krankengeld der Krankenkasse (etwa 70 % des Bruttolohns).
Kein Anspruch besteht dagegen bei:
- Selbstverschuldeter Krankheit (z. B. Alkoholunfall, riskanter Extremsport),
- Schönheitsoperationen ohne medizinische Indikation,
- Erkrankung innerhalb der ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses.
Ein häufiger Irrtum: Auch bei wiederholten Erkrankungen zählt der Grund. Wer etwa dieselbe Erkältung verschleppt, fällt unter dieselbe 6-Wochen-Frist.
Was während der Krankheit erlaubt ist
„Krankgeschrieben“ heißt nicht „ans Bett gefesselt“. Zulässig ist alles, was die Genesung nicht verzögert: Spaziergänge, Einkäufe oder auch der Weg in die Apotheke sind völlig unproblematisch.
Kritisch wird es, wenn die Aktivität dem Heilungsprozess widerspricht – etwa Sport trotz körperlicher Einschränkungen.
Und ja: Auch der Arbeitgeber darf Kontakt aufnehmen, sofern es um dringende organisatorische Fragen geht.
Eine ständige Erreichbarkeit kann aber nicht verlangt werden.
Kündigung trotz Krankheit – geht das?
Ja – aber nur unter engen Voraussetzungen. Eine Kündigung während der Krankheit ist zulässig. Eine Kündigung wegen Krankheit dagegen nur, wenn:
- über einen längeren Zeitraum erhebliche Fehlzeiten bestehen,
- der Betrieb dadurch spürbar beeinträchtigt wird, und
- keine milderen Mittel (z. B. betriebliches Eingliederungsmanagement) helfen.
In der Praxis ist das schwer nachzuweisen. Gerichte verlangen mehrjährige Dokumentation der Krankheitszeiten sowie eine objektive negative Gesundheitsprognose.
Neues BAG-Urteil: Wenn die Krankmeldung zu perfekt passt
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat Ende 2023 einen bemerkenswerten Fall entschieden: Ein Arbeitnehmer war genau bis zum letzten Tag seines Arbeitsverhältnisses krankgeschrieben – und trat am Folgetag eine neue Stelle an.
Das BAG entschied, dass die Beweiskraft der AU in einem solchen Fall erschüttert ist. Der Arbeitnehmer muss dann nachweisen, dass er tatsächlich krank war. Ein wichtiges Signal für Arbeitgeber, die sich auf offensichtlich fragwürdige Bescheinigungen nicht blind verlassen müssen.
Das Wichtigste in Kürze
Krankheit im Arbeitsverhältnis ist juristisch klar geregelt – aber praktisch oft heikel. Ob Krankmeldung, Lohnfortzahlung oder Kündigung: Beide Seiten profitieren von klarer Kommunikation, Dokumentation und gegenseitigem Vertrauen.
Wer die Spielregeln kennt, vermeidet Konflikte – und sorgt für ein faires Miteinander, auch wenn mal das Fieberthermometer anschlägt.
Shownotes
- Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – Das Bundesarbeitsgericht
- LAG Niedersachsen, 10.07.2024 – 8 SLa 170/24 – dejure.org