Dürfen Arbeitgeber überwachen, welche Internetseiten ihre Mitarbeiter auf ihrem dienstlichen Rechner besuchen? Nach deutschem Recht geht das jedenfalls nur in sehr engen Grenzen. Fest steht, dass versteckte Spähprogramme grundsätzlich nicht eingesetzt werden dürfen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sah das in einem aktuellen Fall ähnlich und beruft sich auf die einschlägigen datenschutzrechtlichen Grenzen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Rumänische Richter gestatten Überwachung
Was war passiert? Ein Vertriebsingenieur war bei einem privaten Arbeitgeber in Rumänien beschäftigt. Im Rahmen seines Beschäftigtenverhältnisses nutzte er auf Veranlassung seines Arbeitgebers hin einen Yahoo-Messenger-Account. Darüber sollte er ausschließlich direkte Anfragen von Kunden abwickeln. Jedoch nutzte der rumänische Arbeitgeber den Account auch, um mit seinem Bruder und seiner Verlobten zu „chatten“. Und dies, obwohl zuvor eine private Nutzung ausdrücklich vom Arbeitgeber untersagt wurde.
Nachdem der Arbeitgeber von der privaten Nutzung erfuhr, kündigte er das Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer wehrte sich und bestritt, den Messenger privat genutzt zu haben. Der Arbeitgeber legte daraufhin ein 45-seitiges Chatprotokoll der privaten Kommunikation von nur einer einzigen Woche vor. Brisant: Die Abschrift enthielt unter anderem besonders geschützte personenbezogene Daten des Arbeitnehmers (vgl. Art. 9 DS-GVO).
Das wollte dieser nicht hinnehmen und wehrte sich mit einer Klage. Er war der Ansicht, der Arbeitgeber habe die Kommunikation gar nicht überwachen und auswerten, erst recht keine Kündigung darauf stützen dürfen. Die Klage blieb allerdings vor den nationalen rumänischen Gerichten ohne Erfolg.
EGMR schränkt die Überwachung am Arbeitsplatz ein
Die 17-köpfige große Kammer des EGMR war damit nicht einverstanden. Sie sah in der Überwachung eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz (Art. 8 EMRK). Der EGMR hatte das Interesse des Arbeitgebers an einer Überwachung und das Interesse des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privatlebens gegeneinander abzuwägen. In seiner Entscheidung nennt der EGMR eine Reihe von Kriterien, die im Rahmen dieser Abwägung zu berücksichtigen seien.
So rügt der Gerichtshof insbesondere, dass die nationalen rumänischen Gerichte nicht geprüft hätten, ob der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber über die Möglichkeit und die Art einer Überwachung, sowie deren Ausmaß informiert wurde. Auch hatten die Gerichte es bislang versäumt zu klären, ob die Überwachung auf einem gerechtfertigten Grund beruhte oder nicht. Ferner sei nach Ansicht der Straßburger Richter von den vorherigen Gerichten eine mildere Überwachungsmethode nicht in Betracht gezogen worden.
Private Internetnutzung am Arbeitsplatz – Kündigung oftmals unverhältnismäßig
Im Rahmen dieser Vorgaben hätten bereits die nationalen Gerichte die Schwere des Eingriffs in Art. 8 EMRK und die Konsequenz der Überwachung – hier die Kündigung – bewerten und berücksichtigen müssen. Da sie das nicht taten, sprach der EGMR dem Arbeitgeber nun eine Entschädigung in Höhe von 1.365 EUR zu.
Das Urteil gilt direkt nur für den konkreten Fall. Nationale Gerichte sind nicht unmittelbar an die Rechtsprechung des EGMR gebunden. Allerdings werden sie sich voraussichtlich daran orientieren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass auch die Bundesrepublik Deutschland Entschädigungen bezahlen muss.
Rechtmäßigkeit der Kündigung ist stets eine Bewertung des Einzelfalls
Immer mehr Arbeitnehmer arbeiten digital vernetzt. Das bietet dem Arbeitgeber fast grenzenlose Möglichkeiten, die Mitarbeiter zu kontrollieren. In gewissem Rahmen ist das auch erforderlich. Andernfalls könnten sie gar nicht überprüfen, ob die Arbeitnehmer ihre vertraglich geschuldete Leistung erbringen. Allerdings müssen der Überwachung Grenzen gesetzt werden, weil es eben immer auch um persönliche Informationen von Menschen geht. Die Grenzen sind noch lange nicht definiert und werden sich wahrscheinlich immer wieder verschieben.
Die Streitfrage bietet viel Stoff für eine umfangreiche rechtliche Diskussion. Für die gerichtliche Praxis bedeutet das, dass es stets von den Umständen des Einzelfalls abhängt, wie weit die Überwachung eingeschränkt werden muss. Leider wird sich in vielen Fällen nicht sicher voraussagen lassen, wie eine Gerichtsentscheidung ausfallen wird. Hier hilft nur professioneller Rat und viel Erfahrung.