Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hatte angekündigt, möglichst zeitnah eine Änderung des Arbeitszeiterfassungsgesetzes (ArbZG) vorzunehmen, um den Beschluss des BAG (1 ABR 22/21) auch in Gesetzesform zu gießen. Denn das BAG hatte festgestellt, dass Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter verpflichtet sind.
Dieser „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften“ (im Folgenden: RefE-ArbZG) liegt nun vor. Damit gibt es einen ersten Anhaltspunkt, wo die Reise hingehen könnte. Im Folgenden stellen wir die Kernbestandteile des Referentenentwurfs dar, setzen diese in den Kontext der wirtschaftlichen Praktikabilität und zeigen mögliche rechtliche Probleme auf.
Die wohl wichtigste Regelung des Referentenentwurfs: § 16 Abs. 2 RefE-ArbZG
Der Referentenentwurf sieht eine grundlegende Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit von Arbeitnehmern durch den Arbeitgeber vor. § 16 Absatz 2 RefE-ArbZG sieht vor, dass
„Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit […]“
aufzuzeichnen sind.
Daneben soll die Möglichkeit bestehen, dass der Arbeitgeber die Aufzeichnung nicht selbst übernimmt, sondern auf Dritte oder den Arbeitnehmer übertragt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Arbeitgeber verantwortlich bleibt – § 16 Absatz 3 RefE-ArbZG.
Wie weit die Verantwortung des Arbeitgebers reicht, lässt sich aus § 22 Abs. 1 Nr. 9 RefE-ArbZG ableiten, der sich mit der Frage befasst, wann sich ein Arbeitgeber ordnungswidrig verhält. Dort heißt es, dass die Arbeitszeitaufzeichnungen richtig, vollständig, in der vorgeschriebenen Weise und rechtzeitig zu erstellen und zwei Jahre aufzubewahren sind.
Es besteht jedoch noch keine Regelung dazu, welche Auswirkungen es hat, wenn der Arbeitnehmer fahrlässig die Arbeitszeitaufzeichnung nicht richtig erstellt. Auf das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung muss dann wohl auf bestehende – schadensrechtliche – Regelungen zurückgegriffen werden.
RefE-ArbZG sieht elektronische Aufzeichnung der Arbeitszeit am selben Arbeitstag vor
Wichtig ist die elektronische Aufzeichnung, wobei das Gesetz zunächst nicht konkretisiert, wie eine solche elektronische Aufzeichnung auszusehen hat.
Bereits gängige Zeiterfassungsgeräte sollen ebenso möglich sein wie die Aufzeichnung mit Hilfe von Apps auf einem Mobiltelefon oder herkömmlichen Tabellenkalkulationsprogrammen. Die Begründung des Entwurfs stellt aber auch klar, dass eine Aufzeichnung in Form der Auswertung elektronischer Schichtpläne ebenfalls unter den Begriff der „elektronischen Aufzeichnung“ fallen könne. Dies ist zwar für den Arbeitgeber eine bequeme Möglichkeit, der elektronischen Aufzeichnungspflicht nachzukommen, verwundert aber etwas, da es sich hierbei nicht mehr um eine spezifische Aufzeichnung der Arbeitszeit handelt.
Darüber hinaus hat die elektronische Aufzeichnung grundsätzlich unmittelbar am selben Arbeitstag zu erfolgen. Dies soll jedoch nach der Begründung des Referentenentwurfs nicht verhindern, dass z.B. eine Korrektur der Aufzeichnungen vorgenommen werden kann. Tarifvertraglich soll in diesem Zusammenhang auch eine bis zu sieben Tage spätere Erfassung der Arbeitszeiten geregelt werden können – § 16 Abs. 7 Nr. 2 RefE-ArbZG.
Welche Fragen bleiben offen?
Zwei Probleme, die sich im Zusammenhang mit der genannten Entscheidung des BAG aufgetan haben, regelt der Referentenentwurf auch in seiner jetzigen Fassung leider nicht.
Zum einen die Frage, welche Arbeitnehmer von der Aufzeichnungspflicht erfasst werden – also ob insbesondere die Arbeitszeit von leitenden Angestellten aufzuzeichnen ist – und zum anderen die Frage, wie sog. zeitunkritische Tätigkeiten während der Ruhezeit zu bewerten sind.
1. Aufzeichnungspflicht bezüglich leitender Angestellter
Im sog. „Stechuhr-Urteil“ des EuGH (EuGH, Urteil vom 14.05.2019 – C-55/18) ist dieser grundsätzlich davon ausgegangen, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung auch für leitende Angestellte bestehen kann. Nach Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG können die Mitgliedstaaten die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für leitende Angestellte ausschließen. Das ArbZG gilt derzeit jedoch nicht für „leitende Angestellte“ (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG); dies soll auch durch den Referentenentwurf nicht geändert werden.
Die Tarifvertragsparteien sollen jedoch die Möglichkeit erhalten, in Tarifverträgen die Erfassung der Arbeitszeit für solche Arbeitnehmer auszuschließen, bei denen „die Gesamtdauer der Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann“ (§ 16 Abs. 7 Nr. 3 RefE-ArbZG). Als Anwendungsfall des § 16 Abs. 7 Nr. 3 RefE-ArbZG sieht die Entwurfsbegründung z.B. Führungskräfte vor.
Es stellt sich jedoch die Folgefrage, warum die Tarifvertragsparteien eine solche Regelung treffen können, wenn die Führungskräfte als leitende Angestellte nach § 18 ArbZG ohnehin vom Anwendungsbereich des ArbZG ausgenommen sind. Der Referentenentwurf übernimmt die Formulierungen des Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG, jedoch nicht die Aufzählung der Regelbeispiele, unter denen u.a. die leitenden Angestellten aufgeführt sind. Für § 18 ArbZG soll ausweislich der Gesetzesbegründung der relativ enge Begriff des leitenden Angestellten aus § 5 BetrVG gelten, inwieweit dies auch auf § 16 Abs. 7 RefE-ArbZG zu übertragen ist bzw. mit dem derzeitigen Wortlaut des § 16 Abs. 7 RefE-ArbZG übereinstimmt, ist unklar.
2. Ruhezeit unterbrochen durch Dienstmail?
Fraglich ist auch, ob eine nicht zeitkritische Tätigkeit während der Ruhezeit zu einer Unterbrechung der Ruhezeit führt. Im Ergebnis würde dies dazu führen, dass die Ruhezeit neu beginnen müsste, um die „ununterbrochene Ruhezeit“ (§ 5 Abs. 1 ArbZG) von elf Stunden zu gewährleisten. Damit stellt sich die Frage, ob das Schreiben einer dienstlichen E-Mail am Feierabend diese Ruhezeit unterbricht.
Der Referentenentwurf sieht hierzu – leider – keine gesetzliche Regelung vor. Da es auch in der Rechtsprechung des BAG noch keine Entscheidung zu dieser Thematik gibt, bleibt die Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit zeitunkritischen Tätigkeiten während der Ruhezeit bestehen.
Vertrauensarbeitszeit ist auch nach dem RefE-ArbZG möglich!
Nach § 16 Abs. 4 RefE-ArbZG soll Vertrauensarbeitszeit, d.h. flexible Arbeitszeit in Selbstbestimmung des Arbeitnehmers, weiterhin möglich sein. Dazu muss der Arbeitgeber nach den Regelungen des § 16 Abs. 3 und 4 RefE-ArbZG verfahren. Zum einen muss der Arbeitnehmer die Aufzeichnung der Arbeitszeit übernehmen (§ 16 Abs. 3 RefE-ArbZG), zum anderen muss der Arbeitgeber auf die Kontrolle der Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten (§ 16 Abs. 4 RefE-ArbZG).
Selbst wenn solche Regelungen getroffen werden, sieht § 16 Abs. 3 RefE-ArbZG weiterhin vor, dass der Arbeitgeber die Verantwortung für die Aufzeichnung trägt. Er ist also einerseits dafür verantwortlich, dass der Arbeitnehmer die Arbeitszeit aufzeichnet, andererseits aber auch dafür, dass die Richtigkeit der Aufzeichnung gewährleistet ist.
Ebenso ist für den Arbeitgeber zu beachten, dass er weiterhin „geeignete Maßnahmen“ zu treffen hat, um sicherzustellen, dass „Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen über die Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten ihm bekannt werden“. Es kann daher – so auch die Entwurfsbegründung – sinnvoll sein, dem Arbeitnehmer entsprechende elektronische Aufzeichnungssysteme zur Verfügung zu stellen, damit eine entsprechende Kontrolle möglich bleibt.
Missachtung der Aufzeichnungspflicht ist jetzt bußgeldbewehrt
Wie bereits erwähnt, aber dennoch neu, ist nunmehr ein Verstoß des Arbeitgebers gegen die Aufzeichnungspflicht eine Ordnungswidrigkeit. Es handelt sich also um eine neue Rechtsfolge für derartige Verstöße – § 22 Abs. 1 Nr. 9 RefE-ArbZG. Der Arbeitgeber handelt danach ordnungswidrig, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig gegen seine Pflichten aus § 16 Abs. 2 RefE-ArbZG verstößt. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 30.000 € geahndet werden – § 22 Abs. 2 RefE-ArbZG.
Übergangsregelungen im RefE-ArbZG: Unternehmen bekommen eine Schonfrist
Die elektronische Aufzeichnung ist nicht für alle Arbeitgeber verpflichtend. Betriebe mit weniger als zehn Arbeitnehmern sind nicht zur elektronischen Aufzeichnung verpflichtet – § 16 Abs. 8 S. 3 RefE-ArbZG, im Umkehrschluss ist aber auch für diese Betriebe eine Form der Arbeitszeiterfassung verpflichtend. Begründet wird dies mit dem finanziellen Aufwand für die Einführung eines elektronischen Aufzeichnungssystems, den der Gesetzgeber solchen Kleinstunternehmen nicht zumuten will. Gleichwohl kann es auch für solche Unternehmen – nicht zuletzt aus Nachweisgründen – sinnvoll sein, ein elektronisches Aufzeichnungssystem einzusetzen.
Darüber hinaus sieht der Referentenentwurf in § 16 Abs. 8 RefE-ArbZG auch Übergangsregelungen für die Unternehmen bei der Umsetzung vor. Danach haben Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes Zeit, ein elektronisches Aufzeichnungssystem einzuführen. Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmern haben zwei Jahre Zeit und alle anderen Arbeitgeber, also solche mit mehr als 250 Arbeitnehmern, haben ein Jahr Zeit, um die elektronische Arbeitszeiterfassung in ihrem Betrieb einzuführen.
Arbeitszeiterfassung: Neue Vorgaben im Arbeitszeitgesetz geplant, aber offene Fragen bleiben.
Die Grundregel, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer aufzuzeichnen, wird mit dem Referentenentwurf in das Arbeitszeitgesetz aufgenommen. Ausnahmen, wie z.B. Vertrauensarbeitszeit, sollen aber weiterhin möglich sein. Teilweise kann durch tarifvertragliche Regelungen von wesentlichen Regelungen des ArbZG abgewichen werden, so z.B. bei der taggleichen Erfassung und bei der Erfassung der Arbeitszeit von leitenden Angestellten.
Es bleibt jedoch festzuhalten, dass der Gesetzgeber einige wichtige Fragen offen lässt, u.a. die Frage, durch welche Tätigkeiten Ruhezeiten unterbrochen werden.
Ob der Referentenentwurf Gesetz wird, ist noch nicht absehbar. Klar ist jedoch, dass der Gesetzgeber gewillt ist, entsprechend des Beschlusses des BAG eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung im ArbZG gesetzlich zu verankern. Insofern erscheint es für Unternehmen ratsam, entsprechende Vorkehrungen zu treffen.
Themenschwerpunkt Arbeitszeiterfassung
In unserem Themenschwerpunkt „Arbeitszeiterfassung nach dem BAG“ beschäftigen wir uns mit der rechtlichen und praktischen Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung nach der jüngsten europäischen und höchstrichterlichen Rechtsprechung. Bisher erschienen in dieser Reihe eine Darstellung der EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung, des nachfolgenden Urteils des Bundesarbeitsgerichts und die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden Konsequenzen für die betriebliche Praxis.