Mit drei Beschlüssen vom 9. Februar 2017 nimmt das Bundeverfassungsgericht Stellung zur Abwägung von Pressefreiheit und Privatsphäre (1 BvR 2897/14, 1 BvR 790/15; 1 BvR 967/15):
Die Zivilgerichte müssen im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung das Gewicht der Pressefreiheit bei der Berichterstattung über Prominente, die von großem öffentlichen Interesse sind, ausreichend berücksichtigen. Die Frage nach der richtigen Balance zwischen Pressefreiheit und Privatsphäre ist besonders bei prominenten Personen entscheidend, da hier regelmäßig ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit besteht.
Für die Abwägung ausschlaggebend ist, ob sich die abgebildete Person im öffentlichen Raum bewegt. Soweit sich die Person in einer durch räumliche Privatheit geprägten Situation befinde, sei das Gewicht des Persönlichkeitsschutzes erhöht. Gerade in solchen Fällen zeigt sich der schmale Grat, den das Recht zwischen der Pressefreiheit und der Wahrung der Privatsphäre zieht.
Bildberichterstattung in der Presse
In allen drei Verfahren ging es um die Veröffentlichung von Lichtbildern, auf denen Jörg Kachelmann bei seiner Verteidigerin abgebildet war. Zur Zeit der Veröffentlichung der Lichtbilder lief ein Verfahren gegen ihn wegen des Verdachts der Vergewaltigung. Dieses endete mit einem Freispruch. Die Rolle der Pressefreiheit bei der Berichterstattung über solche Verfahren wird dabei immer wieder neu geprüft, insbesondere wenn die Frage der Privatsphäre betroffen ist.
Im Verfahren 1 BvR 967/15 erhob der Springer Verlag Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG Köln (v. 19.12.2013 – 15 U 64/13). Er rügt im Wesentlichen die Verletzung der Pressefreiheit, denn das OLG untersagte dem Verlag die Veröffentlichung eines Bildes. Dieses zeigt Kachelmann einige Meter vom Eingang der Kanzlei seiner Verteidigerin entfernt auf dem Gehweg. Hier stellt sich die Frage, wie weit die Pressefreiheit geht, wenn die betroffene Person im öffentlichen Raum unterwegs ist und ob dadurch ihre Privatsphäre beeinträchtigt wird.
Darüber hinaus wurden dem Verlag die Veröffentlichung zweier weiterer Bilder gerichtlich untersagt. Diese zeigen Kachelmann im Innenhof der Kanzlei seiner Verteidigerin. Begründet wurde die Untersagung damit, dass die Bilder lediglich unterhaltenden Charakter aufweisen und den Moderator in seiner Privatsphäre zeigen. Auch hiergegen wendete sich der Springer-Verlag mittels Verfassungsbeschwerde (1 BvR 2897/14, 1 BvR 790/15). In solchen Fällen kollidieren Pressefreiheit und Privatsphäre besonders deutlich, und die Gerichte müssen genau abwägen, welche Interessen überwiegen.
Abbildung einer Person auf öffentlichen Wegen rechtmäßig
Hinsichtlich der Abbildung Kachelmanns auf dem Gehweg, hatte die diesbezügliche Verfassungsbeschwerde Erfolg. Seit der Caroline-Rechtsprechung gelte das abgestufte Schutzkonzept für die Berichterstattung über Ereignisse mit starkem öffentlichen Interesse. Wer sich im Rahmen des Ereignisses sichtbar in der Sozialsphäre bewegt ist weniger schützenswert als derjenige, der sich in der Privatsphäre oder gar Intimsphäre aufhält.
Bei der Ablichtung Kachelmanns auf dem Gehweg ist die Privatsphäre noch nicht betroffen. Er bewege sich in einem öffentlich zugänglichen Bereich und müsse daher stets mit einer Wahrnehmung durch Dritte rechnen. Betroffen sei daher nur die Sozialsphäre, weshalb eine Abwägung von öffentlichem Interesse an der Berichterstattung und den Persönlichkeitsrechten zu dem Ergebnis komme, eine Bildberichterstattung sei rechtmäßig.
Aufhalten in einem Innenhof einer Kanzlei umfasst die Privatsphäre
Anders sieht es in den Fällen aus, in denen Kachelmann im Innenhof der Kanzlei abgebildet wurde. Hier hält er sich in einer durch räumliche Privatheit geprägten Situation auf. Der Ort war zudem von der Öffentlichkeit nur sehr eingeschränkt einsehbar. Die Abbildung greift daher in die Privatsphäre Kachelmanns ein, wodurch dem Persönlichkeitsrecht ein weitaus größeres Gewicht bei der Abwägung zukommt. In solchen Fällen wird deutlich, wie wichtig der Schutz der Privatsphäre sein kann, wenn die Person nicht im öffentlichen Raum ist. Der Anspruch auf Privatsphäre kann in solchen Situationen die Pressefreiheit überwiegen.
Im Ergebnis war die Untersagung der Berichterstattung durch das OLG Köln in diesem Fall rechtmäßig und die Verfassungsbeschwerde des Verlages unbegründet.
Genaue Abwägung von Pressefreiheit und Privatsphäre
Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts sind aus unserer Sicht sehr zu begrüßen. Sie zeigen die medienfreundliche Linie des BVerfG, stellen aber zugleich die nachvollziehbaren Grenzen dar. Pressefreiheit und Privatsphäre stehen oft in einem Spannungsverhältnis, und wer sich als Prominenter im Rahmen eines Ereignisses der Zeitgeschichte im öffentlichen Raum aufhält, muss stets mit einer Berichterstattung rechnen und hat diese zu dulden.
Nach wie vor bleibt die Abwägung aber eine Entscheidung im Einzelfall. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts seit der Caroline-Rechtsprechung zeigen nach und nach an Einzelfällen auf, wann die Privatsphäre betroffen sein kann und wann nicht. Bei Unsicherheiten und Grenzfällen ist es daher stets ratsam einen Rechtsanwalt aufzusuchen, der sich in der aktuellen Rechtsprechung auskennt.