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Kündigung durch kirchlichen Arbeitgeber wegen Wiederheirat?

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EuGH: Nationale Gerichte müssen überprüfen, ob Anforderungen kirchlicher Arbeitgeber wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sind.

Wer unseren Blogbeitrag zum Thema „Konfessionslos in der Kirche?“ gelesen hat, weiß bereits, dass nicht mehr jeder bei einem kirchlichen Arbeitgeber angestellte Arbeitnehmer zwangsläufig der jeweiligen Religionsgemeinschaft angehören muss. Dies ist nur ein Aspekt der Entwicklung, die derzeit im Hinblick auf das kirchliche Arbeitsrecht stattfindet. Diese Rechtsprechung des EuGHs von April 2018 wurde nun fortgeführt. Künftig bedarf auch eine Kündigung aufgrund von Verstößen gegen den Ritus der katholischen Eheschließung einer besonderen Rechtfertigung. 

Die katholische Kirche stellt an ihre Mitarbeiter spezielle Anforderungen, die zum Teil weit in die persönliche Sphäre der Mitarbeiter hineinreichen. Diese Anforderungen sind in der sogenannten Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (Grundordnung) geregelt. Unter anderem verbietet die Grundordnung den Mitarbeitern, nach einer Scheidung erneut zu heiraten. Verstößt ein Mitarbeiter hiergegen, sind nach der Grundordnung kirchliche Arbeitgeber berechtigt, den Mitarbeiter zu kündigen – jedenfalls bisher. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dem nun Grenzen gesetzt. Mit Urteil vom 11.09.2018 (Az.: C-68/17) hat der EuGH entschieden, dass als Rechtfertigung für eine Kündigung ein objektiv überprüfbarer Zusammenhang zwischen den Anforderungen kirchlicher Arbeitgeber an ihre Mitarbeiter und deren konkreter Tätigkeit vorliegen muss. Dieser Zusammenhang muss sich aus der Art der Tätigkeit und den Umständen ihrer Ausübung ergeben.

Katholischer Arzt wegen Wiederheirat gekündigt

Der Entscheidung des Gerichtshofs liegt folgender Fall zugrunde: Der betroffene Arbeitnehmer arbeitete seit 2000 als Chefarzt in einem katholischen Krankenhaus. Er war nach katholischem Ritus verheiratet. Jedoch trennte sich seine erste Ehefrau im Jahr 2005 von ihm und die Ehe wurde im März 2008 geschieden. Als der Betroffene im August 2008 erneut standesamtlich heiratete, war die erste Ehe zwar geschieden, aber nicht nach kirchlichem Recht für nichtig erklärt worden. Die kirchenrechtliche Annullierung der Ehe beantragte der Arzt erst nach der Hochzeit. Dies teilte er seinem Arbeitgeber in einem Gespräch am 26. Januar 2009 mit. In einem Schreiben vom 30.03.2009 kündigte die Kirche daraufhin zum 30.09.2009 das Arbeitsverhältnis.

Nach Ansicht der Kirche liegt in der zweiten Hochzeit ein die Kündigung rechtfertigender Verstoß gegen die Pflichten des Arbeitnehmers. Denn Art. 5 II Nr. 2c der Grundordnung berechtigt die Kirche zu einer Kündigung wegen unzulässigen Abschlusses einer Zivilehe, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen. Voraussetzung für eine Ehe sei nach kirchlichem Recht, dass nie eine gültige Ehe nach kirchlichem Verständnis bestanden habe. Erst durch den Ausspruch der Nichtigkeit einer Ehe, wird rechtswirksam festgestellt, dass sie aus kirchlicher Sicht nach katholischem Eherecht nicht gültig zustande gekommen ist, also nach katholischem Verständnis nie eine gültige Ehe bestand. Die Ehe des Arztes war aber – jedenfalls zum Zeitpunkt der zweiten Hochzeit – nicht für nichtig erklärt worden.

Kündigung sozial ungerechtfertigt?

Der Arzt brachte gegen die Kündigung folgende Argumente vor: Er hätte den Geschäftsführer schon im Herbst 2006 über die eheähnliche Gemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau informiert und dieser habe auch noch im März 2009 erklärt, dass ihn das Privatleben des Arztes nicht interessiere. Des Weiteren seien die Trennung und die zweite Heirat vor der Kündigung nicht in der Öffentlichkeit bekannt gewesen und hatten dementsprechend auch kein Ärgernis erregt. Deshalb sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt (§ 1 KSchG). Zuletzt stelle die Verletzung von Loyalitätsobliegenheiten allein noch keine sachliche Rechtfertigung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar.

Die Kirche widerspricht dem. Sie behauptet, erst am 25.11.2008 Kenntnis von der erneuten staatlichen Eheschließung und dem vorangegangenen eheähnlichen Verhältnis erlangt zu haben. Der Arzt habe durch die Eingehung der zweiten Ehe eine ungültige Ehe im Sinne des Art. 5 II der Grundordnung  abgeschlossen.

Arbeitsgericht gab Kündigungsschutzklage statt

Der Entscheidung ist ein langer Prozess vor den deutschen Gerichten bis zum Bundesverfassungsgericht vorausgegangen: Das Arbeitsgericht Düsseldorf (ArbG) hatte der Kündigungsschutzklage des Anwaltes nach der Durchführung einer Interessenabwägung zunächst stattgegeben. Grundsätzlich sei es zwar den Kirchen überlassen, zu bestimmen, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihre Verkündigung erfordert und insoweit die Grundordnung zu beachten. Allerdings müsse trotzdem überprüft werden, ob die Verletzung von Loyalitätsobliegenheiten die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch sachlich rechtfertigt. Dies sei hier nicht der Fall. Wegen des eingeleiteten Annullierungsverfahrens stand nämlich noch nicht fest, ob der Arzt überhaupt eine ungültige Ehe eingegangen war. Die Grundordnung benennt aber nur eine „ungültige“ Ehe als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß. Deshalb sei nicht ersichtlich, warum ein Abwarten über die Annullierungsentscheidung für die Kirche unzumutbar gewesen wäre. Das Interesse der Kirche am Erhalt ihrer Glaubwürdigkeit sei nicht konkret gefährdet gewesen.

Berufung, Revision, Verfassungsbeschwerde, Anfrage an den EuGH

Die Berufung und die Revision der Arbeitgeberin vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG) und dem Bundesarbeitsgericht (BAG) wurden zurückgewiesen. Dabei wurde zusätzlich zu den vom ArbG angeführten Aspekten als ein Grund für die Entscheidungen der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz angeführt. Vor Ausspruch der Kündigung waren nämlich zwei weitere Chefärzte anders behandelt worden, obwohl sie sich in derselben Situation befanden. Außerdem berücksichtigte das BAG, dass der Arzt nach wie vor zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre steht. Zusätzlich bezog es in seine Entscheidung mit ein, dass der Wunsch, in einer Ehe zusammenleben zu dürfen, grundrechtlich geschützt ist.

Die Kirche legte gegen die Entscheidung des BAG Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verwies die Sache an das BAG zurück. Das BAG sollte anhand einer Plausibilitätskontrolle überprüfen, ob die Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist. Das BVerfG hielt dem BAG vor, seine eigene Einschätzung der Bedeutung des Loyalitätsverstoßes an die Stelle der kirchlichen Einschätzung gesetzt zu haben. Die Einschätzung der Kirche entspreche aber anerkannten kirchlichen Maßstäben und stehe nicht mit grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen im Widerspruch.

Deshalb legte das BAG dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 4 II RL 2000/78/EG zur Vorabentscheidung vor.

EuGH: Anforderungen an Arbeitnehmer müssen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen

Der EuGH entschied, dass die nationalen Gerichte überprüfen müssen, ob die Anforderungen von kirchlichen Arbeitgebern wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sind. Dies hänge im Einzelfall von der Art der fraglichen Tätigkeit und der Umstände ihrer Ausübung ab. Nur, wenn zwischen der konkreten Tätigkeit und den aufgestellten Anforderungen ein objektiv überprüfbarer Zusammenhang bestehe, sei eine Ungleichbehandlung wegen der Religion rechtmäßig. Der Gerichtshof legt die Kriterien der Wesentlichkeit, Rechtfertigung und Rechtmäßigkeit insoweit wie bereits im Fall Egenberger (Az.: C-414/16), welcher Anlass zu unserem Beitrag „Konfessionslos in der Kirche?“ war, aus.

Hinzu kommt, dass die nationalen Gerichte laut EuGH die Vereinbarkeit von Anforderungen an Arbeitnehmer mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überprüfen müssen. Das bedeutet, dass die Anforderungen angemessen sein müssen und nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen dürfen.

Im vorliegenden Fall kam der EuGH deshalb zu dem Ergebnis, dass der Kernbereich der Religionsgemeinschaft bei den Tätigkeiten des Chefarztes nicht ausreichend betroffen ist, um eine Kündigung wegen Wiederheirat zu rechtfertigen. Die Akzeptanz des Verständnisses der katholischen Kirche vom heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung ist laut EuGH für die Bekundung der sittlichen Grundhaltung der Kirche nicht notwendig. Mit anderen Worten: Die Tätigkeit als Chefarzt erfordert nicht, dass sich der Mitarbeiter dem besonderen katholischen Verständnis von Ehe unterwirft.

Kirchliches Arbeitsrecht im Wandel der Zeit  

Auch das kirchliche Arbeitsrecht muss sich also ein Stück weit dem Wandel der heutigen Zeit anpassen. Spezielle Anforderungen an kirchliche Arbeitnehmer bedürfen immer mehr einer gesonderten Rechtfertigung, als dies früher der Fall war. Früher selbstverständliche Loyalitätspflichten werden zunehmend kritisch gesehen.

Dies zeigt sich nicht nur in der jüngsten Rechtsprechung, sondern auch in der Überarbeitung der Grundordnung. Während nach der Fassung vom 20.06.2011 allein der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe als Kündigungsgrund ausreichte, wird in der aktuellen Fassung zusätzlich eine konkrete Gefahr des Erregens öffentlichen Ärgernisses gefordert. Insoweit wurde durch die Überarbeitung in diesem Bereich schon ein Stück weit mehr Verbindung zur weltlichen Realität hergestellt.

Gegen den Wandel der Zeit wird sich die Kirche auch in Zukunft nicht wehren können. Das Grundgesetz gewährt den Kirchen historisch bedingt weitgehende Befugnisse und erkennt das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen an. Ausprägung dessen ist unter anderem das kirchliche Dienstrecht, dem z. B. unterliegt, wer als Kleriker im Dienst der Kirche tätig ist. Das kirchliche Dienstrecht lässt sich mit den Grundsätzen des weltlichen Arbeitsrechts nicht greifen. Wo aber die Kirche privatautonom Arbeitsverträge mit Mitarbeitern schließt, tendiert die jüngste Rechtsprechung dazu, die Sonderrolle der Kirchen in Frage zu stellen. Dies betrifft ungezählte Mitarbeiter in Krankenhäusern, KiTas, der Caritas, etc.

Losgelöst von rechtlichen Erwägungen entsteht zudem in der Wahrnehmung der politischen und gesellschaftlichen Diskussion der Eindruck, dass das Verständnis für die erhöhte Verbindlichkeit, die die Kirchen von ihren Mitarbeitern verlangen, eher schwindet als wächst. Dies mag unter anderem damit zusammenhängen, dass die Grundsätzen in den verschiedenen Kirchen im Detail oft unterschiedlich gehandhabt werden und insoweit je nachdem einzelne Glaubensgemeinschaften in der Öffentlichkeit besser und weltoffener dastehen als andere. Die sinkende Akzeptanz kann auch mit dem generellen Rückgang der Mitgliederzahlen in den Religionsgemeinschaften erklärt werden. Wir werden die Entwicklungen im kirchlichen Arbeitsrecht auch in Zukunft im Blick behalten.

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Florian Wagenknecht

Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

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Hanna Schellberg

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