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KG Berlin, Beschluss v. 4. März 2019, Az.: 8 U 74/17

Postfachangabe in Widerrufsbelehrung nicht ausreichend.

Leitsatz

Zu den nach Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB (in Kraft seit 11.06.2010) in den Vertrag aufzunehmenden Informationen über das Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen gehört eine ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten. Eine Postfachanschrift genügt somit (abweichend von den Anforderungen an eine Widerrufsbelehrung nach dem vor dem 11.06.2010 geltenden Recht) nicht, sondern es ist die Angabe einer Straße, Hausummer und Postleitzahl erforderlich.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

A.

1 Die Kläger schlossen mit der Beklagten am 12./22.07.2011 einen Immobiliardarlehensvertrag über 120.000 EUR (End-​Nr. -661) und am 18./22.07.2011 einen sog. KfW-​Kreditvertrag über 70.000 EUR. Nachdem sie am 27.10.2015 die Verträge einschließlich Vorfälligkeitsentschädigung abgelöst hatten, haben sie ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen mit Schreiben vom 02.11.2015, der Beklagten zugegangen am 04.11.2015, widerrufen.

2 Die Parteien haben erstinstanzlich über die Wirksamkeit des Widerrufs und einen mit der Klage verfolgten Rückzahlungsanspruch von 26.329,55 EUR sowie Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gestritten. Mit Urteil vom 19.04.2017, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage in Höhe von 23.280,55 EUR (Rückgewähranspruch für das Darlehen Nr. -661 von 10.814,33 EUR und für das KfW-​Darlehen von 12.466,22 EUR) nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.

3 Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, soweit sie zur Zahlung von 10.814,33 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist.

4 Die Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor:

5 Die Berufung richte sich nur dagegen, dass das Landgericht in Bezug auf das Darlehen Nr. -661 einen wirksamen Widerruf bejaht habe.

6 Die Kläger hätten insoweit keinen Anspruch nach §§ 495 Abs. 1, 355 Abs. 1 S. 1, 357 Abs. 1 S. 1, 346 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB – jeweils a.F. -. Zwar habe ihnen ein Widerrufsrecht nach §§ 495 Abs. 1, 355 Abs. 1 S. 1 BGB zugestanden, weil es sich um ein Verbraucherdarlehen i.S. von § 491 Abs. 1 BGB gehandelt habe. Jedoch sei die Widerrufsfrist von 14 Tagen bei Ausübung des Widerrufsrechts abgelaufen gewesen.

7 Die Widerrufsinformation zum Darlehen -661 habe den Anforderungen einer klaren und verständlichen Darstellung i.S. von Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB genügt. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei die Angabe einer „ladungsfähigen Anschrift“ nicht erforderlich gewesen. Die Vorschrift des § 360 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BGB (idF vom 11.06.2010 bis 12.06.2014), wonach die „Widerrufsbelehrung“ eine ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten enthalten müsse, finde keine Anwendung auf verbraucherkreditrechtliche Widerrufsrechte nach § 495 Abs. 1 BGB. Dies folge aus § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB, wonach „an die Stelle der Widerrufsbelehrung“ die Pflichtangaben nach Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB treten. Der Gesetzgeber selbst habe klargestellt (BT-​DrS 16/11643, S. 83), dass die in § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB angeordnete Modifikation der §§ 355 bis 359a BGB einen Ausschluss des § 360 BGB bedeute und dessen Nichtanwendbarkeit zur Folge habe.

8 Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

9 unter Abänderung des am 19.04.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin -4 O 57/16- den Entscheidungstenor zu 1 des Landgerichtsurteils dahin neu zu fassen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Kläger als Gesamtgläubiger 12.466,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.11.2015 <gemeint offenbar: 28.11.2015> zu zahlen, und die Klage im Übrigen abzuweisen.

10 Die Kläger beantragen,

11 die Berufung zurückzuweisen,

12 sowie im Wege der Anschlussberufung (sinngemäß),

13 unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts die Beklagte zu verurteilen, an sie als Mitgläubiger weitere 1.161,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2015 zu zahlen.

14 Die Kläger tragen vor:

15 Zwar sei die Anwendung von § 360 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BGB auf Verbraucherdarlehensverträge durch § 495 Abs. 2 BGB ausgenommen. Dies bedeute jedoch nur, dass für diese Verträge keine separate Widerrufsbelehrung mehr zu erfolgen habe, sondern aus Gründen der Vollharmonisierung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen nunmehr unmittelbar im Vertrag enthalten sein müssten. Die Frage, wie die Widerrufsinformation gestaltet sein müsse, sei damit jedoch nicht entschieden. Dass der Gesetzgeber eine Widerrufsinformation unter Angabe einer ladungsfähigen Anschrift fordere und diese zu den nach Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB genannten „Umständen für die Erklärung des Widerrufs“ gehörten, ergebe sich aus BT-​DrS 16/11643 S. 123 und 128. Ferner habe der Gesetzgeber mit dem Gestaltungshinweis Nr. 3 zur Musterbelehrung in Anlage 6 zu Art. 247 EGBGB, wonach eine ladungsfähige Anschrift anzugeben sei, seinen Willen zum Ausdruck gebracht, dass eine solche zu den Umständen der Erklärung des Widerrufs gehöre.

16 Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass über die Zwänge der Vollharmonisierung hinaus bei Verbraucherdarlehensverträgen die Anforderungen an die Information des Verbrauchers zu seinem Widerrufsrecht im Vergleich zu einer gesonderten Widerrufsbelehrung nach § 360 BGB herabgesetzt werden sollten. Der Gesetzgeber habe weitgehend einheitliche Anforderungen an die Widerrufsinformation schaffen wollen, als er mit demselben Gesetz sowohl § 360 Abs. 1 Nr. 3 BGB neu schaffte als auch die Neuregelung zu § 495 BGB und Art. 247 § 6 EGBGB einführte.

17 Zur Anschlussberufung tragen sie vor:

18 Dem Zahlenwerk des Landgerichtsurteils, wonach den Klägern für das Darlehen -661 ein Rückzahlungsanspruch von 150.102,83 EUR und für das KfW-​Darlehen von 94.021,09 EUR zugestanden habe, werde nicht entgegengetreten.

19 Zu Unrecht habe das Landgericht jedoch die Ansprüche der Beklagten auf Rückzahlung von Kapital und Nutzungswertersatz – den Berechnungen der Kläger folgend – mit 120.000,00 EUR + 19.288,50 EUR = 139.288,50 EUR und 70.000,00 EUR + 11.554,87 EUR = 81.554,87 EUR angenommen. Denn die Beklagte habe Nutzungen der Kläger von lediglich 18.259,58 EUR und 11.422,43 EUR errechnet. Das Landgericht hätte die Kläger darauf hinweisen müssen, dass es beabsichtige, die Nutzungswertersatzansprüche in der über die Angabe der Beklagten hinausgehenden Höhe anzusetzen. Die Kläger hätten sodann erklärt, dass sie sich die Angabe der Beklagten zu eigen machen. Dies sei ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 11.10.2016, S. 35, in dem sie auf eine irrtümliche Zuvielberechnung des Nutzungsersatzes anhand des gesamten Kapitals und nicht des jeweils noch offenen Kapitalrestes hingewiesen hätten, auch im Wege der Auslegung zu entnehmen gewesen.

20 Unter Zugrundelegung des von der Beklagten selbst errechneten Nutzungswertersatzes sei der Klage in Höhe weiterer 1.161,36 EUR stattzugeben.

21 Die Beklagte beantragt,

22 die Anschlussberufung zurückzuweisen.

23 Sie erwidert:

24 Die Kläger hätten sich eine Neuberechnung des von ihnen geschuldeten Nutzungswertersatzes und eine Klageänderung im Schriftsatz vom 11.10.2016 lediglich vorbehalten, hiervon jedoch sodann keinen Gebrauch gemacht. Die Entscheidung des Landgerichts sei daher zutreffend.

B.

25 Die Berufung ist durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

26 1) Die Berufung der Beklagten, die sich lediglich gegen das Bestehen eines Rückgewähranspruchs der Kläger gemäß §§ 357 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. i.V.m. § 346 BGB betreffend das Darlehen -661 und insoweit auch nur gegen die Verurteilung dem Grunde nach (jedoch ohne den erstinstanzlichen Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs des Widerrufsrechts weiter zu verfolgen) richtet, ist unbegründet.

27 Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Kläger als Mitgläubiger (§ 432 BGB) 10.814,33 EUR herauszugeben, weil der am 04.11.2015 erklärte Widerruf ihrer Darlehensvertragserklärung wirksam war und sich der grundpfandrechtlich gesicherte Darlehensvertrag vom 12./22.07.2011 damit in ein Rückgewährschuldverhältnis gemäß §§ 357 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. i.V.m. § 346 BGB umgewandelt hat.

28 Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass den Klägern bei Abschluss des Darlehensvertrags am 22.07.2011 gemäß § 495 Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB in der zwischen dem 11.06.2010 und dem 12.06.2014 geltenden Fassung ein Widerrufsrecht zustand und die Widerrufsfrist nach § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Buchst. b BGB in der hier nach Art. 229 §§ 32 Abs. 1, 38 EGBGB weiter maßgeblichen, zwischen dem 30.07.2010 und dem 12.06.2014 geltenden Fassung nicht begann, bevor die Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB in der seit dem 30.07.2010 geltenden Fassung erhalten hatten. Zu diesen Pflichtangaben gehörte nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 und 2 EGBGB – hier: in der zwischen dem 11.06.2010 und dem 03.08.2011 geltenden Fassung – und Art. 247 § 9 Abs. 1 S. 1 und 3 EGBGB in der zwischen dem 11.06.2010 und dem 20.03.2016 geltenden Fassung die Erteilung einer wirksamen Widerrufsinformation (s.a. BGH, Urt. v. 22.11.2016 – XI ZR 434/15, NJW 2017, 1306 Tz 10).

29 Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass die den Klägern erteilte Widerrufsinformation nicht geeignet war, die Widerrufsfrist von 14 Tagen (§ 355 Abs. 2 BGB a.F.) in Gang zu setzen, da sie wegen Angabe eines Postfachs anstatt einer ladungsfähigen (Haus-​)Anschrift nicht den Anforderungen des Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB genügte.

30 a) Nach Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 EGBGB müssen im Vertrag neben den Angaben zur Frist für die Ausübung eines nach § 495 BGB bestehenden Widerrufsrechts auch Angaben zu „anderen Umständen für die Erklärung des Widerrufs“ gemacht werden. Hierzu gehört nach allgemeiner Meinung unter anderem die Mitteilung, wem gegenüber und auf welchem Weg der Widerruf erklärt werden kann.

31 Für die Konkretisierung der in Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB nur angesprochenen, aber nicht näher dargelegten „Umstände“ ist nach zutreffender und herrschender Meinung auf die Regelung des § 360 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 BGB in der vom 11.06.2010 bis 12.06.2014 geltenden Fassung (die mit Wirkung ab 13.06.2014 in Art. 246 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 bis 4 EGBGB übernommen wurde) abzustellen (LG Münster, Urt. v. 01.04.2014 – 14 O 206/13 juris Tz 62; MüKo/Schürnbrand, BGB, 7. Aufl., § 492 Rn 28; Staub/Renner, Großkommentar zum HGB, Bd. 10/2 (Bankvertragsrecht), 5. Aufl., 4. Teil -Kreditgeschäfte- Rn 672; jurisPK/Schwintowski, BGB, 7. Aufl., § 492 Rn 18; Staudinger/Kessal-​Wulf, BGB, Neub. 2012, § 492 Rn 70; Derleder NJW 2009, 3195, 3200; Rösler/Werner BKR 2009, 1, 4).

32 § 360 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BGB a.F. ordnet an, dass die Widerrufsbelehrung den Namen und die ladungsfähige Anschrift desjenigen enthalten muss, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist. Nach § 355 Abs. 3 BGB a.F. ist dieser Belehrungsinhalt Voraussetzung für den Beginn der Widerrufsfrist. Beide Vorschriften, die allerdings unmittelbar nur die Ausgestaltung des notwendigen Inhalts einer Widerrufsbelehrung betreffen, sind mit Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29.07.2009 (BGBl. I, 2355) gleichzeitig mit der Neufassung des § 495 BGB betreffend das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und der Einführung des Instituts einer als Vertragsbestandteil zu erfolgenden Widerrufsinformation in Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB geschaffen worden. Sämtliche Regelungen sind gleichzeitig am 11.06.2010 in Kraft getreten. Nach § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB gelten die §§ 355 bis 359a BGB für das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen „mit der Maßgabe“, dass „an die Stelle der Widerrufsbelehrung die Pflichtangaben nach Artikel 247 § 6 Abs. 2 EGBGB treten“.

33 Unter diesen Umständen ist nicht zweifelhaft, dass der Gesetzgeber zur Konkretisierung der in Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB angesprochenen „Umstände“ auf die gleichzeitig geschaffene Regelung des § 360 Abs. 1 BGB abstellen wollte. Die Regelung des § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB, wonach die Pflichtangaben nach Art. 247 Abs. 2 EGBGB an die Stelle der Widerrufsbelehrung treten, spricht nicht gegen, sondern für diese Annahme. Denn es war erklärtes Ziel des Gesetzgebers, mit der Einführung der Widerrufsinformation für Verbraucherkreditverträge der Vollharmonisierung durch die Richtlinie 2008/48/EG vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge, welche eine gesonderte Widerrufsbelehrung außerhalb des Vertrags nicht vorsah, gerecht zu werden und aus diesem Grund „die entsprechende Information im Vertrag an ihre Stelle treten zu lassen“ (BT-​DrS 16/11643, S. 83; s.a. BGH, Urt. v. 23.02.2016 – XI ZR 101/15, BGHZ 209, 86 = NJW 2016, 1881 Tz 29 f. mit dem Hinweis, dass daher nunmehr die Informationen zum Widerrufsrecht im Sinne eines „Ein-​Urkunden-​Modells“ in die Vertragsurkunde aufzunehmen seien). Aus Gründen der Vollharmonisierung sei für „eine Belehrung im Sinne des § 355 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit § 360 Abs. 1 BGB kein Raum mehr“; an die Stelle der Belehrung trete daher nach § 495 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Vertragsklausel (a.a.O., S. 164). Es besteht auch kein sachlicher Grund, an eine Widerrufsinformation andere inhaltliche Anforderungen zu stellen als an eine Widerrufsbelehrung (s.a. Grüneberg BKR 2019, 1: an die Stelle der Widerrufsbelehrung sei die Widerrufsinformation getreten, „ohne dass dadurch der Gehalt grundlegend geändert wurde“). Es ist auch nicht ersichtlich, anhand welcher sonstigen Regelungen als des § 360 Abs. 1 BGB a.F. bestimmt werden sollte, welche „anderen Umstände für die Erklärung des Widerrufs“ zum Inhalt einer Widerrufsinformation gemacht werden sollen.

34 § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB ist daher nicht dahin auszulegen, dass es (gerade) für einen Verbraucherdarlehensvertrag auf Angaben i.S. von § 360 Abs. 1 BGB für den Beginn der Widerrufsfrist nicht ankommt, sondern dass § 355 Abs. 3 BGB lediglich mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass – der insoweit geltenden anderen Konzeption folgend – nicht auf eine Widerrufsbelehrung (die nämlich nicht zu erfolgen hat), sondern auf die Pflichtangaben nach Art. 247 § 6 Abs. 2 BGB abzustellen ist, die jedoch – nicht anders als im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 355 Abs. 3 BGB – „den Anforderungen des § 360 Abs. 1 BGB entsprechen“ müssen.

35 Dieses der gesetzlichen Regelung zwar nicht auf den ersten Blick (s. Derleder a.a.O.: „Gipfel der gesetzgebungstechnischen Umständlichkeit“), aber dennoch hinreichend klar zu entnehmende Ergebnis entspricht auch dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers, der in BT-​DrS 16/11643 S. 128 die in Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB angesprochenen Umstände insbesondere mit den Formerfordernissen „entsprechend § 360 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BGB“ erklärt. Dieser gesetzgeberische Wille wird nochmals dadurch bestätigt, dass mit Wirkung ab dem 30.07.2010 ein Muster einer Widerrufsinformation als Anlage 6 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB eingeführt wurde, in dem nach Gestaltungshinweis 3 die Angabe einer „ladungsfähigen Anschrift“ vorgeschrieben ist, und es in BT-​DrS 17/1394 S. 21 heißt: „Das Muster entspricht den Vorgaben des Artikels 247 § 6 Abs. 2 EGBGB – neu -, mit dem die Vorgaben des Artikels 10 Abs. 2 Buchstabe q der Verbraucherkreditrichtlinie umgesetzt werden, und verweist auf § 495 Abs. 2 Nr. 1 BGB“.

36 Die von der Beklagten angegebenen Fundstellen, wonach § 360 BGB auf das verbraucher-​kreditrechtliche Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 BGB „keine Anwendung“ findet, weil nach § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB die Pflichtangaben an die Stelle der Widerrufsbelehrung treten (MüKo/ Masuch, BGB, 6. Aufl. 2012, § 360 Rn 7; BeckOK-​BGB/Christmann, 31. Edition 1.5.2014, § 360 Rn 4) befassen sich nicht mit der hier in Frage stehenden Auslegung von Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB und dürften ohnehin nur dahin zu verstehen sein, dass es einer gesonderten Widerrufsbelehrung im Recht des Verbraucherdarlehensvertrags nicht bedarf.

37 b) Eine Postfachanschrift stellt keine „ladungsfähige Anschrift“ dar (s. BGH NJW 2002, 2391, 2394; BVerwG NJW 1999, 2608, 2609). Eine solche setzt vielmehr die Angaben einer Straße, Hausnummer und Postleitzahl voraus (s. BGH, Urt. v. 20.06.2017 – XI ZR 72/16, NJW-​RR 2017, 1197 Tz 26).

38 Die Rechtsprechung des BGH zum alten Recht der Widerrufsbelehrung, wonach eine „Anschrift“ i.S. von § 355 Abs. 2 S. 1 BGB (in der Fassung bis 10.06.2010) nur als „Postanschrift“ zu verstehen war und daher auch eine Postfachanschrift einschloss (s. BGH, Urt. v. 12.07.2016 – XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 = NJW 2016, 3512 Tz 16; Urt. v. 25.01.2012 – VIII ZR 95/11, NJW 2012, 1065 Tz 13; Urt. v. 11.04.2002 – I ZR 306/99, NJW 2002, 2391), ist auf das seit dem 11.06.2010 geltende Recht der Widerrufsinformation nicht mehr anwendbar, da die oben genannten, aufeinander abgestimmten Vorschriften insoweit eine andere Auslegung ergeben (a.A. Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 9. Aufl., § 495 Rn 103; OLG Saarbrücken, Urt. v. 06.12.2018 – 4 U 166/17 – juris Tz 41 f. für einen am 28.06.2010 geschlossenen Darlehensvertrag unter Hinweis auf „§ 355 Abs. 2 S. 1 BGB aF“ und die genannte Rechtsprechung des BGH).

39 Soweit Bülow a.a.O. darauf hinweist, dass für Verbraucherkreditverträge das sog. „Ein-​Urkunden-​Modell“ gelte, und daraus den Schluss zieht, dass die Angabe der Anschrift im Vertragsrubrum ausreichend sei, ist dem nicht zu folgen. Das Gesetz unterscheidet zwischen allgemeinen Pflichtangaben, zu denen nach Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB Name und Anschrift des Darlehensgebers gehören, und den nach § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB an die Stelle der Widerrufsbelehrung tretenden Pflichtangaben nach Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB (sog. Widerrufsinformation, s. BGH NJW 2017, 1306 Tz 10). Letztere setzt eine Vertragsklausel voraus, die den Verbraucher klar und verständlich (s. Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB, der insoweit auch für Absatz 2 gilt, s. BGHZ 209, 86 Tz 27 f.) über das Bestehen des Widerrufsrechts, die Frist und die Umstände für die Widerrufserklärung, zu denen auch der Adressat gehört, unterrichtet. Es soll dem Verbraucher gerade nicht zugemutet werden, sich die Informationen aus dem gesamten Vertragswerk zusammenzusuchen. Eine an anderer Stelle stehende ladungsfähige Anschrift genügt daher nicht (s. Staudinger/Kaiser, Neub. 2012, § 360 Rn 23 m.N.).

40 c) Der somit gegebene Mangel der Widerrufsinformation ist nicht wegen Verwendung des Musters nach Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB i.V.m. Anlage 6 ohne Bedeutung. Der Beklagten kommt die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters nicht zugute, da dieses gerade die Angaben der ladungsfähigen Anschrift vorschreibt und deren Weglassen eine relevante Abweichung vom Muster darstellt (s. BGH, Urt. v. 20.06.2017 – XI ZR 72/16, NJW-​RR 2017, 1197 Tz 26; Urt. v. 12.07.2016 – XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Tz 24).

41 2) Einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO stehen vorliegend weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, noch ein Bedürfnis nach Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung entgegen. Die Frage, ob nach dem ab dem 11.06.2010 geltenden Recht die Widerrufsinformation zum Verbraucherkreditvertrag eine ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten enthalten muss, lässt sich anhand des Gesetzes, der Gesetzesmaterialien und der Literatur nach Auffassung des Senats hinreichend klar beantworten. Die Entscheidung des OLG Saarbrücken, die auf Grundlage überholten Rechts ergangen ist, macht die Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig. Der in der Klageerwiderung angeführte Beschluss des OLG Hamburg vom 15.04.2014 – 13 U 52/14 – lässt nicht erkennen, ob ein Vertragsschluss nach dem 10.06.2010 zugrunde lag. Die Kommentierung von Bülow ist als vereinzelte, nicht überzeugend begründete Literaturauffassung anzusehen (vgl. BGH NJW-​RR 2010, 978) und führt ebenfalls nicht zur grundsätzlichen Bedeutung der Frage.

42 3) Die Anschlussberufung der Kläger wird gemäß § 524 Abs. 4 ZPO mit Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO wirkungslos.

43 4) Der Senat wird mit seiner Entscheidung die erstinstanzliche Kostenentscheidung ggf. dahin zu ändern haben, dass die Beklagte 88 % und die Kläger je 6 % der Kosten zu tragen haben. Die (rechtskräftig) abgewiesene Forderung auf Freistellung von vorgerichtlichen Kosten von 1.872,35 EUR betrifft eine nicht streitwerterhöhende Nebenforderung i.S. von § 4 ZPO und ist vorliegend bei der Kostenquote nicht zu berücksichtigen.

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Dennis Tölle

Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

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