Die Betriebsratswahl ist ein zentrales Element der Mitbestimmung in deutschen Unternehmen. Doch wie steht es um die Rechtmäßigkeit von Wahlwerbung, insbesondere über moderne Kommunikationsmittel wie WhatsApp?
Das Kölner Arbeitsgericht hatte bereits im Januar 2023 eine Betriebsratswahl für ungültig erklärt, nachdem der Wahlvorstandsvorsitzende einen Tag vor der Wahl per WhatsApp versuchte, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Das Landesarbeitsgericht bestätigte diese Entscheidung (LAG Köln, Beschluss v. 6. Oktober 2023 – 9 TaBV 14/23).
Betriebsratsvorsitzender hatte aufgrund seiner Funktion Arbeitnehmer-Kontakte in WhatsApp und nutzte dies aus, um Wahlwerbung zu machen
Im Mai 2022 wurde in einem deutschen Betrieb der Betriebsrat gewählt. Dabei handelte es sich um eine sog. Listenwahl, mehrere Kandidaten traten also auf einer gemeinsamen Liste zur Wahl an.
An der Wahl beteiligten sich insgesamt fünf Listen, wobei der Spitzenkandidat der Liste 2 gleichzeitig auch Wahlvorstandsvorsitzender, Betriebsratsvorsitzender, Tagesdienstplaner und Disponent war. Er verwendete die WhatsApp-Funktion der sog. Broadcast-Liste, um allen Kontakten auf dieser Broadcast-Liste gleichzeitig dieselbe Nachricht zu schicken. Die einzelnen Empfänger können dabei nicht sehen, an wen die Nachricht sonst noch versendet wurde. Auf diesem Wege erreichte er ca. 80% der insgesamt in dem Betrieb beschäftigten und eröffnete so einen direkten Kommunikationsweg zwischen Arbeitnehmern und dem Betriebsrat.
Für gewöhnlich verwendete er die WhatsApp-Funktion, um als Betriebsratsvorsitzender Informationen der Gewerkschaft mit den Beschäftigten zu teilen. Kurz vor der Wahl jedoch kritisierte er auf diesem Wege die Kandidaten anderer Listen und forderte die Empfänger der Broadcast-Nachrichten auf, die Liste 2 zu wählen.
LAG Köln: Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit durch Ausnutzung einer Sondersituation
Das Landesarbeitsgericht bestätigte nun die Ansicht des Arbeitsgerichts aus erster Instanz, dass durch diese Art der Wahlwerbung der Grundsatz der Chancengleichheit der Kandidaten erheblich verletzt und dadurch die Integrität der Wahl gefährdet werde.
Der Listenführer der Liste 2 habe durch seine Broadcast-Nachrichten seine Stellung als Betriebsrats- und Wahlvorstandsvorsitzender ausgenutzt, um Kommunikationswege zu den Wählern zu eröffnen. Die Handynummern der Angestellten hatte er nur aufgrund seiner Vorsitzenden-Funktion erlangen können, anderen Wahlbewerbern stand diese Möglichkeit der Kontaktaufnahme nicht offen. Kandidaten der anderen vier Listen hatten keinen Zugriff auf die Broadcast-Liste bzw. die Mobilfunknummern der Beschäftigten. Durch das Versenden der Broadcast-Nachrichten habe der Listenführer der Liste 2 sich deshalb einen unzulässigen Vorteil gegenüber anderen Wahlbewerbern verschafft und so die Chancengleichheit verletzt.
Da die fragliche WhatsApp-Wahlwerbung erst kurz vor der bevorstehenden Betriebsratswahl versendet wurde, bestand für die Mitglieder der anderen Wahllisten auch nicht die Möglichkeit, sich die entsprechenden Kontaktdaten anderweitig zu verschaffen. Bei der gegenständlichen Wahl sei nicht garantiert gewesen, dass jeder Wahlbewerber im Wahlkampf über die gleichen Möglichkeiten verfügte. Die Betriebsratswahl sei unwirksam und müsse wiederholt werden.
Grundsatz der Chancengleichheit ein wesentlicher Wahlgrundsatz im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG
Zwar sei der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber weder im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), noch in der zugehörigen Wahlordnung niedergeschrieben, stelle aber dennoch einen derart wesentlichen Wahlgrundsatz im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG dar, dass dessen Verletzung zur Anfechtbarkeit der Wahl führe.
Generell ist die Wahlwerbung bei Betriebsratswahlen verfassungsrechtlich geschützt, insbesondere durch Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) und Art. 9 Abs. 3 GG (Vereinigungsfreiheit). Dadurch seien sowohl Wahlwerbung als auch Wahlkampf Bestandteil des demokratischen Wahlverfahrens. Allerdings müsse auch in diesem Zusammenhang auf den öffentlich-rechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgestellt werden, der es verbietet, unzulässige Mittel zu verwenden. Das Verhalten des Wahlvorstandsvorsitzenden stelle jedoch ein solches unzulässiges Mittel dar, so das Landesarbeitsgericht.
Auch WhatsApp-Kanäle müssen allen Kandidaten für Wahlwerbung zur Verfügung stehen
Die Urteile des Arbeits- und des Landesarbeitsgerichts stehen im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zu der Thematik rund um Wahlwerbung. Doch die Wiederholung einer Betriebsratswahl geht für den Betriebsinhaber mit nicht unerheblichen Kosten einher.
Um derartige Verstöße im Wahlverfahren zu verhindern, sollten die Wahlbewerber darauf hingewiesen werden, welche Kanäle in zulässiger Weise für Wahlwerbung genutzt werden können. Dies sind regelmäßig nur diejenigen, die allen Wahlbewerbern gleichermaßen zur Verfügung stehen.
Eine innerbetriebliche Sonderposition, wie etwa die des Wahlvorstands oder z.B. des Personalrats, sollte jedenfalls niemals dazu genutzt werden, sich einen Vorsprung vor den anderen zur Wahl stehenden Beschäftigten zu ergattern.