Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem Urteil (vom 23.04.2024, B 12 BA 9/22 R) zur Sozialversicherungspflicht eines Freelancers (hier: eines Piloten), der vermeintlich als freier Mitarbeiter für ein Unternehmen tätig sein sollte, die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit detailliert analysiert.
Diese Entscheidung ist für viele Unternehmen von Relevanz, die Freelancer beschäftigen, welche tatsächlich jedoch Scheinselbständig sein dürften. In diesem Beitrag erklären wir die wesentlichen Argumente des Gerichts, insbesondere die Eingliederung in den Betrieb und andere rechtliche Gründe, die zur Annahme einer abhängigen Beschäftigung führten.
Zentrale Kriterien waren die Eingliederung des Piloten in die betriebliche Organisation und die Weisungsgebundenheit. Das Gericht stellte fest, dass der Pilot trotz der Bezeichnung als „freier Mitarbeiter“ nach den Maßstäben des Sozialversicherungsrechts in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stand.
Eingliederung eines Freelancers in die betriebliche Organisation des Auftraggebers
Nach § 7 Abs. 1 SGB IV ist eine abhängige Beschäftigung gegeben, wenn der Arbeitnehmer in den Betrieb des Weisungsgebers eingegliedert ist und in persönlicher Abhängigkeit arbeitet. In diesem Fall war der Pilot in die betrieblichen Abläufe des Unternehmens eingegliedert, da er das ihm vom Unternehmen bereitgestellte Flugzeug nutzte und die Flüge nach den Vorgaben des Unternehmens durchführte. Das BSG führte aus, dass die Bereitstellung wesentlicher Arbeitsmittel – hier das Flugzeug – durch das Unternehmen ein starkes Indiz für eine Eingliederung darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2021, B 12 R 1/21 R).
Die Eingliederung zeigte sich zudem daran, dass der Pilot keinen eigenen organisatorischen Einfluss auf die Flüge hatte. Das Unternehmen stellte das Flugzeug bereit, bestimmte die Routen und legte den zeitlichen Ablauf fest. Diese Abhängigkeit in der praktischen Ausgestaltung ließ keinen ausreichenden Raum für eine selbstständige unternehmerische Tätigkeit. Auch die Feststellung, dass der Pilot keine eigenen Betriebsmittel oder Mitarbeiter einsetzte und vollständig auf die Ressourcen des Unternehmens angewiesen war, verstärkte die Annahme der Eingliederung.
Weisungsrecht und persönliche Abhängigkeit
Das Weisungsrecht des Unternehmens war in diesem Fall nicht durch direkte Anweisungen während der Flüge, sondern durch den Rahmen-Dienstvertrag (RDV) und die regelmäßige Planung der Einsätze durch das Unternehmen ausgestaltet. Das BSG stellte fest, dass Weisungsgebundenheit nicht zwingend durch direkte Anweisungen im Arbeitsprozess bestehen muss. Ein Weisungsrecht kann auch dann bestehen, wenn der Arbeitsprozess durch vertragliche Festlegungen und organisatorische Strukturen vorab geregelt wird (vgl. § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB). Hierbei kommt es nach der Rechtsprechung des BSG darauf an, ob die vertragliche Gestaltung den Freiraum für eine selbstständige Ausführung wesentlich einschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R).
Das Gericht betonte, dass das Unternehmen durch den RDV die wesentlichen Merkmale der Tätigkeit des Piloten vorab festgelegt hatte. Der Pilot war dadurch zwar formell nicht weisungsgebunden, aber in der Praxis stark eingeschränkt. Die Weisungsgebundenheit manifestierte sich so in der „funktionsgerechten Teilhabe am Arbeitsprozess“ (vgl. BSG, Urteil vom 4.6.2019, B 12 R 11/18 R), die auch für Hochqualifizierte wie den Piloten gelten kann. Für das BSG war entscheidend, dass das Unternehmen durch diese organisatorischen und strukturellen Vorgaben die Tätigkeit des Piloten so regulierte, dass seine Eigenständigkeit aufgehoben wurde.
Unternehmerisches Risiko und Vergütung
Ein weiteres Indiz für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung war das Fehlen eines eigenen unternehmerischen Risikos. Der Pilot wurde pro Flug pauschal vergütet und hatte keine Möglichkeit, durch eigene wirtschaftliche Entscheidungen oder zusätzliche Leistungen seinen Verdienst zu steigern. Er trug keine Kosten für das Flugzeug, war nicht haftbar für mögliche Schäden und hatte keinen Einfluss auf die Kostenstruktur der Einsätze. Das BSG stellt klar, dass das unternehmerische Risiko typischerweise das Vorhandensein eigener Betriebsmittel und die Möglichkeit zur Vergrößerung des Gewinns durch eigene organisatorische oder wirtschaftliche Entscheidungen erfordert (vgl. BSG, Urteil vom 7.6.2019, B 12 R 6/18 R).
Sozialversicherungspflicht und rechtliche Konsequenzen für Unternehmen
Die Anerkennung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses bedeutet, dass für den Pilot Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden müssen. Unternehmen, die ähnliche Arbeitsverhältnisse anbieten, sollten überprüfen, ob ihre externen Mitarbeiter vergleichbare Bedingungen haben, da sonst rückwirkende Sozialabgaben drohen können. Insbesondere die wirtschaftliche Abhängigkeit und die organisatorische Eingliederung sind wichtige Kriterien, die eine selbstständige Tätigkeit von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis unterscheiden.
Urteil zur Abhängige Beschäftigung von Piloten hat Auswirkungen auf andere Fälle
Dieses Urteil unterstreicht, wie wichtig es ist, die Beschäftigungsverhältnisse externer Mitarbeiter genau zu prüfen. Insbesondere bei Beschäftigten ohne eigene (wesentliche) Arbeitsmittel sollten Unternehmen die Kriterien des BSG beachten. Unternehmen sind gut beraten, ihre Vertragsgestaltung zu überprüfen und sicherzustellen, dass alle rechtlichen Anforderungen erfüllt sind.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich aus Gründen der Lesbarkeit wird auf andere Schreibweisen verzichtet.