Arbeitszeiterfassung: Die Probleme in Theorie und Praxis

Theorie der Rechtsprechung und unternehmerische Praxis: ungeklärte Fragen nach EuGH- und BAG-Entscheidungen.

Die Entscheidungen des EuGH und BAG begründen künftig die Pflicht der Arbeitgeber, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer sekundengenau zu erfassen. So progressiv vor allem das BAG dabei die Arbeitnehmerrechte zu stärken sucht – umso trickreicher gestaltet sich die Umsetzung in der Praxis nur auf Grundlage der Entscheidung.  

Ende der Vertrauensarbeitszeit? 

Bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern beliebt ist das Modell der Vertrauensarbeitszeit – bedeutet die neue Rechtsprechung nun das Ende dieses Konzepts? Der große Vorteil des Modells liegt in der Flexibilität, die dadurch insbesondere auch in Kombination mit Home-Office ermöglicht wird.  

Die EuGH- und BAG-Entscheidungen konstatieren eindeutig, dass Arbeitszeit kontrolliert und erfasst werden soll. Dem liegtbder Gedanke zu Grunde, dass die Erfassung von Arbeitszeit Transparenz und Evidenz für beide Seiten schaffen soll. Im Grundsatz widerspricht das dem Prinzip der Vertrauensarbeit. Gleichzeitig haben die Gerichte aber auch den Arbeitnehmerschutz im Blick, sodass die Zeiterfassungspflicht keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsalltag für Arbeitnehmer haben soll.  

Diese Schutzkonzepte schließen sich jedoch gegenseitig nicht aus, wenn die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten selbst erfassen dürfen. Bisher wurde nicht geregelt, dass die Arbeitszeiterfassung zwingend durch den Arbeitgeber zu erfolgen hat. Wenn also z.B. die Arbeitnehmer ihre Stunden selbst in einem Zeiterfassungssystem eintragen, ist ausreichende Transparenz gewährleistet und die Vertrauensarbeitszeit kann fortbestehen.  

Erfassung der Pausenzeiten? 

Schwierig gestaltet sich darüber hinaus die konkrete Erfassung der Pausenzeiten. Die mindestens einzuhaltenden Zeiten sind dabei im Arbeitszeitgesetz vorgeschrieben und werden von vielen Arbeitszeiterfassungssystemen bereits automatisch abgezogen. Erfasst werden dann Arbeitsbeginn und Arbeitsende und bei Berechnung der Gesamtarbeitszeit werden die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen abgezogen. Was aber, wenn der Arbeitnehmer seine erlaubte Pause überzieht? Hat insoweit künftig jeder Arbeitnehmer Vertrauensarbeitszeit?  

Natürlich ist es eine Option, dass der Arbeitgeber seinen Angestellten so weit vertraut, dass sie entweder ihre Pausen exakt einhalten oder dafür Sorge tragen, dass die überzogene Pausenzeit nach Feierabend nachgearbeitet wird. Dies funktioniert besonders für Systeme, die anhand eines Schichtplans generalisierte Anfangs- und Endzeiten aufschreiben. Die tatsächliche Einhaltung der erfassten Arbeitszeit obliegt dann dem Arbeitnehmer, die Kontrolle dessen obliegt dem Arbeitgeber. Dies mag besonders für kleinere Unternehmen funktionieren, für größere Arbeitsstrukturen scheint dies jedoch wenig praktikabel.  

Es gibt darüber hinaus Systeme, ähnlich der Stechuhr, bei denen man sich zur Pause abmelden muss und sich frühestens nach Ablauf der vorgeschriebenen Zeit wieder anmelden kann. Bei längerer Pause wird diese Zeit entsprechend nicht in die Gesamtzeit einbezogen – es erfolgt eine minutengenaue Aufzeichnung.  

Für welches System sich ein Arbeitgeber entscheidet, bleibt diesem selbst überlassen. Weder der EuGH noch das BAG haben dahingehend konkrete Anforderungen aufgestellt.  

Für das umgekehrte Problem, dass der Arbeitnehmer die Pause also tatsächlich nicht nimmt, diese jedoch vom System automatisch abgezogen wird, gibt es gesetzliche Regelungen: Ein Verzicht des Arbeitnehmers auf die ihm gesetzlich zustehende Pause ist im Sinne des Arbeitnehmerschutzes nicht erlaubt und stellt auch für den Arbeitgeber eine Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldandrohung dar, wenn er die Pauseneinhaltung nicht ordnungsgemäß gewährleistet.  

Kein flexibles Home-Office mehr? 

Kritiker befürchten ein Ende des besonders aufgrund der Corona-Pandemie weit verbreiteten Home-Office-Modells. In Zeiten akuter pandemischer Lage wurde die Möglichkeit zur Arbeit aus den eigenen vier Wänden teils verpflichtend eingeführt, viele Unternehmen haben dies auch nach Lockerung der Corona-Maßnahmen beibehalten. Zum Teil wurden Mietverträge für Büroräume gekündigt, da sich die Anzahl der benötigten Büros deutlich verringert hat. Wenn durch die Arbeitszeiterfassung Home-Office unmöglich gemacht würde, müssten viele Unternehmen erneut umdisponieren.  

Grundsätzlich gilt, dass auch die zu Hause abgeleistete Arbeitszeit nach der neuen Rechtsprechung zu erfassen ist. Arbeitszeit ist grundsätzlich unabhängig vom Arbeitsort zu betrachten. Ein Ende von Home-Office ist jedoch nicht zu befürchten. Es gibt zahlreiche technische Entwicklungen, die auch eine Arbeitszeiterfassung für den Mitarbeiter im Home-Office ermöglicht. Möglich ist z.B. das verpflichtende Einloggen in einem Mitarbeiterportal am eigenen PC, oder die Möglichkeit einer Mobile App fürs Smartphone. So kann auch im Außendienst eine durchgängige digitale Arbeitszeiterfassung in Echtzeit erfolgen.  

Führungskräfte erfasst? 

Ungeklärt bleibt bisher auch die Frage, ob die Zeiterfassung auch für leitende Angestellte zu erfolgen hat. Das BAG begründet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in seiner Entscheidung mit der europarechtskonformen Auslegung des § 3 Arbeitsschutzgesetz. Das ArbSchG wiederum bezieht sich auf alle Arbeitnehmer – inklusive leitender Angestellter. Das Arbeitszeitgesetz hingegen, welches die erlaubten Arbeitszeiten festlegt, ist auf Führungskräfte nicht anwendbar.  

Ausführungen dazu lassen sich der Begründung der Entscheidung nicht entnehmen, es spricht jedoch einiges dafür, dass diese von der Pflicht zur Erfassung ausgenommen sind.  

Themenschwerpunkt Arbeitszeiterfassung

In unserem Themenschwerpunkt „Arbeitszeiterfassung nach dem BAG“ beschäftigen wir uns mit der rechtlichen und praktischen Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung nach der jüngsten europäischen und höchstrichterlichen Rechtsprechung. Bisher erschienen in dieser Reihe eine Darstellung der EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung, des nachfolgenden Urteils des Bundesarbeitsgerichts und die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden Konsequenzen für die betriebliche Praxis.

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Florian Wagenknecht

Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

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Hanna Schellberg

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